Start Ein Stück Heimat
Artikel von: Redaktion
21.04.2021

Ein Stück Heimat

Leere Stühle und Anstoßen mit Wasser: Ein Jubiläum hätte man sich anders vorgestellt. Foto: Natalie Scheffler

Betreiber der Sportgaststätte Leukersdorf hätten ihr Jubiläum beinah vergessen

Leukersdorf. Wo sonst gelacht, gefeiert, gegessen, getrunken und geschwatzt wird, herrscht jetzt eher Stille. Sonst sind die Tische fein säuberlich mit weißer Wäsche eingedeckt, jetzt sieht es ein bisschen chaotisch aus. Stammgäste würden die Sportgaststätte Leukersdorf wahrscheinlich nicht wieder erkennen. Und das 35-jährige Jubiläum hätten sich Inhaberin Claudia Lappöhn und ihr Vater Detlef Voigt ganz bestimmt anders vorgestellt. Wobei sie selbst beinah nicht daran gedacht hätten, bei allen anderen aktuellen Themen und Herausforderungen. Trotzdem stecken sie den Kopf nicht in den Sand und müssen zum Lachen auch noch nicht in den Keller gehen. Sie blicken zurück, wie damals alles angefangen hat, schauen aber auch nach vorn und über den Tellerrand hinaus. Und stellen fest: „Wir leben noch, weil uns die Bevölkerung immer wieder den Arsch gerettet hat“. Auch nach dieser Krise wird es irgendwie weiter gehen, da sind sie sich sicher. Bis dahin halten sie sich mit dem Liefer- und Abholservice über Wasser und schmieden bereits Pläne für die nächste Party. Claudia Lappöhn hält währenddessen die Kneipe am Leben, ihr Vater ist nun für alles Bautechnische verantwortlich.

Seit 35 Jahren spricht Detlef Voigt seine Gäste mit Du an. „Als ich 2012 die Kneipe übernommen habe, fiel es mir eine ganze Weile schwer, mir zu merken, wem ich jetzt das Du angeboten hatte und wem nicht. Und irgendwann habe ich mich dann dazu entschieden, alle zu duzen. Dann kommuniziert man gleich auf einer ganz anderen Ebene, das schafft Nähe“, sagt Claudia Lappöhn. Und Gäste oder Kunden wollen die Betreiber der Sportgaststätte auch nicht empfangen, sondern lieber Freunde.

Derb-herzlich-edel
Das ist es auch, was die Gaststätte so besonders macht. Zwar wird mit hochwertigen Zutaten gearbeitet, aber letztendlich geht es nicht nur um das Satt-Werden.
„Satt wird man auch durch ein Fertiggericht. Aber hier geht es um das Erlebnis, um das Zugehörigkeitsgefühl. Und die Erzgebirger sind nochmal ein anderes Volk, sie mögen es heimelig und gemütlich. Ich würde die Kneipe als derb-herzlich-edel beschreiben. Viele, die zum ersten Mal zu uns kommen, sagen, dass sie sich gleich wie daheme gefühlt haben“, lacht Claudia Lappöhn.

Inhaberin Claudia Lappöhn und ihr Vater Detlef Voigt schauen auf 35 Jahre zurück. (Foto: Natalie Scheffler)

Das Geheimrezept
Das Konzept einer Kneipe muss gut sein, aber die eigentliche Herausforderung ist es, den eigenen hohen Anspruch über Jahre hinweg zu halten. Das ist besonders an Tagen schwierig, an denen es nicht so gut läuft, weil es beispielsweise Probleme unter den Mitarbeitern gibt. Aber das wird schnell und mit Humor geklärt, damit es weiter gehen kann. „Wir machen das, weil wir einfach so sind – wir müssen uns nicht verstellen. So macht uns die Arbeit auch Spaß, weil es eben nicht nur Geldverdienen ist, sondern unser Leben. Wir wohnen über der Kneipe und wenn sich die Angestellten hier unten dicke Luft ist, habe ich das oben wieder auf dem Frühstückstisch“, so Claudia Lappöhn.
Detlef Voigt fügt hinzu: „Was auch ganz wichtig ist: Null Alkohol während der Arbeitszeit. Es sollen sich mal die melden, die schon mal in der Kneipe mit mir einen Schnaps getrunken haben, da wirst du keinen finden.“

Ein Drittel des Umsatzes
Zu Ostern ist die Kneipe dann fast ein Jahr lang geschlossen. Dafür gibt es einen Liefer- und Abholservice, zumindest von Donnerstag bis Sonntag. Dadurch kommen die Betreiber auf ein Drittel ihres vorherigen Umsatzes: „Im ersten Lockdown haben wir sogar knapp 50 Prozent des Umsatzes geschafft. Viele kennen die Kneipe von klein auf, das ist ein Stück Heimat – das wollen sie sich erhalten. Es gab wirklich Leute, die über Monate jeden Tag ihr Essen bei uns bestellt haben – dafür sind wir sehr dankbar.“

Zerstörtes Lebenswerk
Auch beim damaligen Brand gab es den Rückhalt aus der Bevölkerung. 1986 eröffnete Detlef Voigt mit seiner Frau die erste Kneipe in einer alten Arbeiterbaracke. Das Handwerk der Gastronomie erlernte er bei seinem Schwiegervater, der in Mittelbach ein Sportlerheim betrieb. Über Jahre hinweg baute das Ehepaar die Kneipe aus. Bis in einer einzigen Nacht alles zerstört wurde. Bei Dacharbeiten wurden durch einen unbemerkten Schwelbrand mehrere Staubexplosionen ausgelöst. Weil sich dabei gesundheitsschädlicher Ruß bis in den letzten Winkel verteilt hatte, musste ein Großteil der Gaststätte samt Wohnhaus als Sondermüll entsorgt werden.
„Wir mussten dann nochmal ganz von vorn anfangen, denn die Baracke war ein Flickschusterwerk. Das Geld, das wir für unser Wohnhaus von der Versicherung bekommen haben, haben wir größtenteils in die Kneipe gesteckt, sonst hätten wir gar nicht wieder öffnen können. Dennoch war unser Lebenswerk erstmal dahin, das war ein traumatisches Erlebnis. Zudem hatten wir zum Zeitpunkt das Brandes auch noch 600.000 Euro Schulden“, erinnert sich Detlef Voigt.

Detflef Voigt mit seiner Frau Kerstin Voigt. (Foto: privat)

Alles auf Anfang
Aber der Rückhalt aus der Bevölkerung war da: „Hinter jedem Maurer standen noch fünf Freiwillige und halfen uns, alles wieder zu errichten. Als wir erneut geöffnet hatten, merkten die Leute aber auch, dass wir nur noch funktionierten und nicht mehr lebensfroh waren, so hat uns mittwochs, an unserem einzigen Ruhetag, jede Woche eine andere Familie zum Essen oder ins Kino eingeladen – das ging über zwei Jahre so“, erzählt Detlef Voigt.
Und es ging wieder irgendwie weiter, das lässt die beiden auch zuversichtlich auf die aktuelle Krise blicken. Letztendlich hatte der Brand auch etwas Gutes: „Wenn der nicht gewesen wäre, dann hätten wir jetzt, nach 20 Jahren das komplette Dach des alten Gebäudes sanieren müssen. Bei allen Dramen, die passieren, weiß man manchmal nicht wofür es gut ist, bzw. braucht es manchmal Geduld um zu erkennen, dass es gut ist, wie es kommt“, sagt Claudia Lappöhn.

Kneipen sind Meinungsherde
Kneipen, das sind laut Claudia Lappöhn aber auch Sammelorte, wo Menschen ihren Unmut kundtun, aktuell geht das nur virtuell im Internet: „Über viele Jahrhunderte waren Kneipen ein Ort, an dem sich eine Meinung gebildet hat. Es gab da die Chance, die eigene Sichtweise mit der von anderen Menschen aus der Umgebung abzugleichen, um somit den anderen Blickwinkel auch verstehen zu können – das fehlt aktuell.“

Möglichkeiten erweitern
Aktuell entstehen gegenüber dem Sportplatz fünf Fremdenzimmer. Vor zwei Jahren hatte die Sportgaststätte dafür Fördernittel für den ländlichen Raum beantragt., ein Drittel wird vom Sächsischen Wirtschaftsministerium finanziert. Die neuen Übernachtungskapazitäten sollen auch das Geschäftsfeld der Sportgaststätte erweitern. Ein Teil der Leistungen waren schon erbracht, als dann Corona dazwischen kam. „Die Planungsleistung war bereits getan, die Leitungen waren in der Erde und die Bodenplatte gegossen – darauf wären wir dann sitzen geblieben. Also haben wir uns entschieden, es durchzuziehen und versuchen, so viel wie möglich selber zu machen. Zudem wollen wir uns zukünftig auch breiter aufstellen, unsere Möglichkeiten erweitern“, erklärt die Betreiberin. Wenn dann alles wieder aufmacht, steht eine Corona-Party an, nämlich ein Maskenball. Damit wollen die Betreiber allen Freunden, Gästen und Helfern Danke sagen, denn sie haben ihnen wieder einmal „den Arsch gerettet“.