Start Inklusives Wohnen: Barrierefreiheit als Zukunftsstandard
Artikel von: Redaktion
13.08.2024

Inklusives Wohnen: Barrierefreiheit als Zukunftsstandard

Symbolfoto: AdobeStock

Wir alle werden nicht jünger. Neben sehr vielem anderem hat das auch Auswirkungen auf unsere privatesten Rückzugsräume: Schon durch die üblichen Beeinträchtigungen des Älterwerdens kann es immer mühevoller bis riskant werden, in einem nach herkömmlichen Maßstäben konstruierten Zuhause zu leben. Kommen Unfälle und Erkrankungen hinzu, kann sich alles noch verschlimmern – selbst für deutlich jüngere Menschen.

Sein Heim barrierefrei(er) zu gestalten, ist deshalb grundsätzlich ungeachtet des Alters eine äußerst sinnvolle Idee, die sich auch nachträglich applizieren lässt. Bei einer sächsischen Wohneigentümerquote von deutlich mehr als einem Drittel ist es zudem von vielen umsetzbar.

Gebaut für ein Normalmaß: Wohnungsbau heute

Alles, was in den vergangenen gut 100 Jahren hierzulande ge- und umgebaut wurde, ist aufs Umfassendste normiert – und über das Einfließen in diverse Baugesetzgebungen, etwa diejenige von Sachsen, verpflichtend.

  • Deckenhöhe,
  • Treppenstufentiefe,
  • Lichtschalterhöhe,
  • Türbreite,
  • Toilettenhöhe

und sehr vieles mehr rings um Haus und Wohnung sind derart standardisiert. Das Problem daran ist: Vieles davon, was mit der allgemeinen Benutzbarkeit der Räume und Installationen zusammenhängt, ist für den berühmten Normalverbraucher geschaffen. Ein Mensch mit Durchschnittsmaßen, Durchschnittsgewicht, durchschnittlicher Motorik, durchschnittlicher Sensorik und vielem anderem im Mittelfeld. 

Zwar sind die Bauvorgaben breit genug gehalten, um Varianz zuzulassen. Dadurch kommen beispielsweise auch Kinder noch gut an einen Lichtschalter, obwohl sie viel kleiner als der Durchschnittserwachsene sind. Allerdings ist es längst nicht bei allen Menschen so simpel, sie durch solche Vorgaben unter einen Hut zu bekommen.

Wenn Standards zur Barriere werden

Das betrifft vor allem all diejenigen, die in irgendeiner Weise körperlich bzw. sensomotorisch eingeschränkt sind. 

  • Die junge Rollstuhlfahrerin, für die jede Fahrt durch eine Innenraumtür (Mindestbreite laut Normen 61 Zentimeter) zum Millimeterakt wird.
  • Der rückengeplagte Senior, der es nur unter Schmerzen schafft, vom normalhohen WC aufzustehen. 
  • Die im Alter sehbehindert gewordene Großmutter, die nur noch sehr starke Kontraste erkennen kann.

Es gibt eine sehr lange Liste von Leiden. Sie gehören sowohl zu den typischen Altersgebrechen als auch denjenigen Herausforderungen, die in jüngeren Jahren durch Krankheit oder Unfall entstehen können. Jede davon kann zumindest an einer Stelle mit einem nach Normalmaß gebauten Haus bzw. einer ebensolchen Wohnung kollidieren. Manches davon lässt sich durch Workarounds richten – etwa einen Treppenlift – anderes hingegen lässt sich nur im Rahmen größerer Umbaumaßnahmen korrigieren. Etwa zu schmale Türen oder beispielsweise für Rollstuhlfahrer zu enge Winkel.

Hier kommen nun durchschnittlich alten, durchschnittlich fitten Bauherrn, Sanierer und Käufer von Häusern und Wohnungen ins Spiel – immerhin mittlerweile im Schnitt bereits in einem gesetzteren Alter deutlich jenseits des 40. Geburtstags. 

Barrierefrei und komfortabel – für jeden

Viele Menschen, die ein Zuhause ohne barrierefreie Maßnahmen nutzen können, sind der Ansicht, diese brächten nur solchen Personen etwas, die aus körperlichen Gründen darauf angewiesen sind. Just das ist jedoch falsch. Wer möchte, kann sich dazu die DIN 18040-2 ansehen. Sie befasst sich sehr umfassend mit barrierefreien Maßnahmen in Wohnräumen.

Die Quintessenz, die jeder daraus ziehen sollte, ist zweigeteilt:

  1. In jedem Alter und körperlichen Zustand kann von jetzt auf gleich eine Situation eintreten, die Barrierefreiheit zwingend nötig macht, um das Zuhause wie gehabt nutzen zu können. Außerdem werden wir alle irgendwann alt – hoffentlich.
  2. Keine einzige Barrierereduzierungsmaßnahme stellt „Normalgesunde“ schlechter. Im Gegenteil, viele Maßnahmen erhöhen sogar den Wohnkomfort, die Sicherheit und die Nutzbarkeit. Sei es im Angesicht spielender Kinder oder dem Jonglieren mit Kinderwagen und Einkäufen.

Vor allem, wenn man bedenkt, wie teuer und aufwendig (und manchmal einfach nicht machbar) es ist, Barrieren in einem bestehenden Zuhause ohne größere Eingriffe zu reduzieren, ist der Rest schlichtweg eine Vernunftentscheidung. 

Bedeutet, wer heute baut oder umfassend saniert, tut sehr gut daran, dabei möglichst vieles mit Fokus auf die genannte DIN durchzuführen. Vieles davon kostet sowieso keinen Aufpreis, sondern bedingt nur eine etwas andere Planung – etwa bei der Lage von Türen. Zudem greifen die umfassenden öffentlichen Fangnetze in Form von Fördermitteln und Zuschüssen – egal ob Mehrkosten anfallen oder nicht. Das Abbauen von Barrieren, Maßnahmen für Altersgerechtigkeit sowie eine Erhöhung der Sicherheit gehören ganz vorne mit dazu und werden deshalb sehr umfassend unterstützt.

Was die Gesetze sagen – und was nicht 

Mancher Leser mag sich diesbezüglich wohl eine Frage stellen: Wenn doch in Deutschland so vieles rund ums Bauen und Wohnen genormt und gesetzlich vorgegeben ist, wie sieht es dann um die Barrierefreiheit aus? Muss man nicht sowieso schon barrierefrei bauen?

Die Antwort ist ein klares „Jein“. Der schmale Grat verläuft hier entlang einer scharfen Trennlinie zwischen privatem Wohnraum einerseits sowie vermietetem Wohnraum und öffentlichen Gebäuden andererseits. Obendrein gibt es noch Unterschiede zwischen den Bundesländern in den Details:

  • Frei der Öffentlichkeit zugängliche Gebäude müssen bereits seit einigen Jahren barrierefrei konzipiert werden – zumindest die öffentlich zugänglichen Bereiche darin.
  • Bei Mietwohnungen bzw. Häusern mit mehr als zwei Wohneinheiten kommt es auf die Definition der jeweiligen Landesbauordnung an. Bei uns in Sachsen müssen bei Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar und ausgestaltet sein.
  • Bei vermietetem Wohnraum muss der Vermieter bestimmten nachträglichen Umbaumaßnahmen zustimmen, allerdings nicht zu seinen Kosten.

Bei typischem privatem Wohnraum in Form des Ein- und Zweifamilienhauses gilt dagegen bis dato: Alles kann – aber nichts muss. 

Insbesondere deshalb, weil es jedoch in Form der genannten DIN (und weiterer Werke) bereits umfassende Leitlinien gibt, muss niemand befürchten, an irgendeinem Punkt von Planung oder (Um-)Bau ins Stocken zu geraten. 

Anders formuliert: Barrierefrei Bauen ist heute genau so standardisiert und einfach möglich wie herkömmliches Bauen. Besonders aufgrund der erwähnten Realitäten und Vorteile sollte tatsächlich jeder ernsthaft überlegen, warum er nicht nach solchen Maßstäben in seinem Zuhause vorgehen möchte. Älter wird man darin sowieso. Und weil barrierefreier Wohnraum ein noch rareres Gut ist als herkömmlicher Wohnraum, sind die Auswirkungen auf den Marktwert ebenfalls entsprechend.