Artikel von: Judith Hauße
13.10.2023
Rollstuhlbasketball-Team auf Korbjagd
Chemnitz. „Einwurf!“ – „Defense!“ -“Pass“ – schallt es über dem Turnhallenparkett am Sportgymnasium in Chemnitz. Hier trifft sich dreimal wöchentlich der Behindertensportverein Wittgensdorf zum Rollstuhlbasketball. Menschen mit und ohne Behinderung, jeden Alters und Herkunft sind auf dem Spielfeld. WochenENDspiegel durfte einmal beim Training des Vereins mit dabei sein. „Und, heute auch mal mitmachen?“, fragt mich der Co-Trainer und sportliche Leiter Anthony Scholz, beim Betreten der Halle. Noch ein wenig überrascht und nervös sage ich schließlich „Ja“.
WochenENDspiegel besuchte den Verein vor seinem ersten Liga-Spiel
Ich mag Basketball. Sitze selbst als Reporterin bei den Spielen der Niners Chemnitz am Spielfeldrand. Das letzte Mal Basketball gespielt habe ich allerdings in der Schule. „Das sollte kein Problem sein“, sagt Anthony. „Viele bei uns haben auch gerade erst angefangen.“ Er selbst hat keine Einschränkungen und habe gut zwei Jahre gebraucht, um den Dreh rauszuhaben, erklärt er und stellt mir den Sportrollstuhl bereit. „Mit einem Alltagsrollstuhl hat der aber wenig zu tun, oder?“, frage ich. „Es ist ein Sportgerät“, antwortet Anthony. „Rollstuhlbasketball ist eine Sportart wie jede andere auch.“ Dann erzählt er, die Hemmschwelle sei jedoch bei einigen Eltern oft noch groß, ihr Kind im Rollstuhl sehen zu müssen, obwohl es nicht darauf angewiesen ist. Dass nicht alle so denken, erlebe ich an diesem Abend. „Super gemacht“, ruft es von der Bank aus. Dort sitzt die Mutti der zwei Spielerinnen Josi und Fenja. Die Schwestern sind zwölf und vierzehn Jahre alt. Sie brauchen keinen Rollstuhl. Seit drei Monaten spielen sie im Verein Rollstuhlbasketball. Beiden komme ich nur schwer hinterher, als ich mich mit dem Rollstuhl zunächst noch sehr langsam über das Feld bewege.
Rollstuhlbasketball: “Im Team sind wir alle gleich”
„Jetzt üben wir Korbleger“, sagt Anthony. Nach ein paar Minuten Aufwärmung kann ich zwar immer noch nicht ganz dem Tempo der Spieler folgen, aber das erste Dreh- und Wendemanöver funktioniert schon ganz gut.Bis ich unter dem Korb stehe. Ich werfe den Ball. Der kommt nicht mal ansatzweise in die Nähe des Netzes, das wie beim Fußgänger-Basketball, auch im Rollstuhlbasketball 3,05 Meter hoch hängt. „Das geht aber besser“, versucht mich der Trainer zu necken. Ich merke sofort die Spielfreude, die alle hier haben. „Die steht bei uns an erster Stelle“, betont der 51-jährige Daniel Nitsch. Er ist einer der sieben Gründungsmitglieder des Vereins. Für ein Gespräch legt er eine kurze Pause ein. Natürlich will ich wissen, was ihn zum Rollstuhlbasketball gebracht hat. „Vorher habe ich viel Leichtathletik und Kraftsport gemacht. Irgendwann wollte ich dann nicht mehr nur für mich trainieren. Mit dem Rollstuhlbasketball habe ich einen Mannschaftssport gefunden, der mir Spaß macht.“ Seit sechs Jahren spielt er wieder aktiv in dem Sport, kennt die anderen Gründungsmitglieder aus seinem früheren Team. Im Gegensatz zu anderen nichteingeschränkten Spielern in der jetzigen Mannschaft ist er ab Rumpfhöhe gelähmt. Er weiß aber: „Hier im Team sind wir alle gleich“, sagt er, „egal ob mit und ohne Einschränkung.“
Ich spüre schnell, dass hier das Gemeinschaftsgefühl gelebt wird. Jeder spielt nach dem gleichen Regelwerk, das dem des Läufer-Basketballs sehr ähnelt. Schrittfehler werden gepfiffen, wenn der Ball nicht nach zwei Schritten, was zwei Züge am Reifen entspricht, gepasst wird.Er klärt mich außerdem über das Klassifizierungssystem der Spielerinnen und Spieler auf. „Das richtet sich nach der Rumpfstabilität des jeweiligen Spielers.“ Je weniger diese gegeben ist, desto niedriger sind die Spielerpunkte. „Ein Team muss zusammen 14,5 Punkte ergeben. Einzeln geht es dann bis 4,5 Punkte. Hinzukommen kommen dann noch eventuelle Boni.“ Es gehe hierbei um Chancengleichheit, wie mir Daniel verdeutlicht. Das macht Sinn. Denn Rollstuhlbasketball ist ein Inklusionssport, in dem besonders behinderte Menschen ihr sportliches Potential ergründen sollen. Das Zusammenspiel mit nicht behinderten Menschen, unabhängig vom Geschlecht, der Herkunft und der Glaubensrichtung, fördert zudem Teamgeist. Daniels Worte gehen ans Herz, denn der Teamgedanke sollte im Sport immer an erster Stelle stehen, „geht er in der heutigen Gesellschaft doch sehr oft unter“, meint er.Vereinsziel ist es, weitere Sportarten, wie Tischtennis oder Bogenschießen zu ermöglichen. „Wir sind für alles offen. Besteht für eine Sportart genügend Interesse, werden wir eine entsprechende Abteilung bilden“, erklärt mir der Trainer während Daniel Josi am Spielfeldrand für ihre heutige Leistung lobt.
Landesliga startet in einer Woche
Aktuell liegt das Hauptaugenmerk noch auf den Rollstuhlbasketball, wo das Team in einer Woche seine ersten Spiele der Landesliga bestreiten wird. Diese finden am 21. Oktober in der Sporthalle des Chemnitzer Sportgymnasiums statt. „Das ist der angespannten Hallensituation geschuldet“, erklärt Anthony. „Wir spielen zwar in heimischer Halle, aber für uns finden an diesem Tag zwei Auswärtsspiele statt.“ Um 10 Uhr bestreiten die Chemnitzer ihr erstes Spiel gegen die Rising Tigers Leipzig 2, die danach um 12 Uhr gegen den RSC Berlin ranmüssen. Für Chemnitz geht es an diesen Tag um 14 Uhr weiter. Dann spielt der BSV Wittgensdorf gegen das Team aus Berlin. „Wir wissen, dass es nicht einfach und vieles noch nicht perfekt laufen wird. Dafür befinden wir uns noch zu sehr im Aufbau. Sieg und Niederlage gehören zum Sport aber nun mal dazu“, weiß Daniel um das beeindruckende Engagement seiner Mannschaft. Ein Vorteil habe es aber doch, wie er mir verrät. „Weil wir neu sind, kennt uns noch keiner“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Er hingegen kennt bereits den einen oder anderen Spieler der gegnerischen Mannschaften. „Das solltet ihr ausnutzen“, sage ich ihm und bedanke mich für den tollen Abend.
Text: Judith Hauße