Start Der EHV und ein Paradigmenwechsel
Artikel von: Sven Günther
01.09.2023

Der EHV und ein Paradigmenwechsel

Maximilian Lux zauberte drei Jahre für den EHV Aue, spielt jetzt in Nordhorn und traf für die HSG im Pokal elf Mal. Foto: Manja Gehlert

Der EHV und ein Paradigmenwechsel

Lößnitz. Hört man den Namen Thomas S. Kuhn, denken die meisten Menschen reflexartig an den Barden, der das Brusthaar-Toupet salonfähig macht und den Schlager schon zelebrierte, als dieses Musik-Genre Anfang der 90-er Jahre noch zu den Totgesagten gerechnet wurde.

Doch der Gedanke ist falsch. Der Sänger heißt Dieter Thomas Kuhn. Thomas S. Kuhn dagegen ist Amerikaner und zählte zu den bedeutendsten Wissenschaftstheoretikern des 20. Jahrhunderts. Er prägte den Begriff Paradigmenwechsel, der eine grundlegende Änderung von Rahmenbedingungen bezeichnet.

Alles neu beim EHV

Grundlegende Änderung von Rahmenbedingungen? Da sind wir beim EHV Aue. War die Mannschaft im letzten Jahr in der 3. Handball-Bundesliga das Maß der Dinge, die kein Spiel verlor und den direkten Wiederaufstieg schaffte, findet man sich in der 2. Liga am Ende der Werteskala wieder. Die Fans werden keine Siegesserien bejubeln dürfen, sondern müssen die Mannschaft dabei unterstützen, Pünktchen für Pünktchen zu sammeln, um den Klassenerhalt zu schaffen.

Rüdiger Jurke, der Geschäftsführer des EHV Aue, während einer Pressekonferenz. Wie immer findet er deutliche Worte. Auch im Interview mit dem WochenENDspiegel. Foto: Manja Gehlert

Jetzt geht es richtig los. Der EHV startet am 1. September, 19 Uhr die Mission 2. Liga, spielt in Nordhorn und trifft dort auf Ex-EHV-Spieler Maximilian Lux. Wir sprachen mit Geschäftsführer Rüdiger Jurke.

WOCHENENDSPIEGEL:

Der Aufstieg in die 2. Bundesliga ist im Handball ein finanzieller Kraftakt, weil man – anders als im Fußball – nicht Millionen Euro aus Fernsehverträgen bekommt. Wie ist der EHV aufgestellt?

RÜDIGER JURKE:

Es ist wirklich so, dass bisher relativ wenig TV-Gelder geflossen sind. In diesem Jahr gibt es erstmalig 80.000 Euro. Aber das ist ja im Gegensatz zum Fußball relativ wenig – und es kommen große Investitionen auf uns zu.

Wir benötigen im Gegensatz zur 3. Liga rund 200.000 Euro mehr Geld.  Allerdings nicht, um neue Spieler zu holen, sondern damit wir die Saison absichern können. Das beginnt mit dem Hallenboden, der erneuert werden musste. Wir sind sehr dankbar, dass uns die Städte Lößnitz und Aue-Bad Schlema dabei unterstützt haben.

Die Spiele sind jetzt auf „Dyn“ zu sehen und wir müssen die Übertragung mit vier Kameras absichern. Dazu benötigen wir ein großes Team um Enrico Alich und Mirko Helm, die das ehrenamtlich umsetzen. Ohne dieses Engagement sähen wir alt aus. Es ist ein riesiger Aufwand, alles technisch einwandfrei zu installieren.

EHV brauchte Buzzer-Technik

Auch die neue Buzzer-Technik, die bei den Spielen angewendet werden muss, müssen wir selbst finanzieren. Natürlich steigen auch die Reisekosten, weil wir zu den Spielen weiter fahren müssen, als in der 3. Liga. Außerdem werden wir auch teilweise übernachten müssen. Allein in der Hinrunde mindestens fünfmal. Das haben wir in der 3. Liga nur dann am Ende während der Aufstiegsrunde gemacht.

Schließlich erhöhen sich die Abgaben, die Startgebühren an die HBL, die Schiedsrichterkosten, die Beiträge für die Berufsgenossenschaft und so weiter. Es sind also viele, viele Kostenpunkte, die nach oben gehen.

Aber wir haben uns im Vorfeld im Vorstand zusammengesetzt, wollten unbedingt in die 2. Bundesliga, auch wenn es sportlich und finanziell eine echte Herausforderung wird.

WOCHENENDSPIEGEL:

Welche Besonderheiten mussten beachtet, welche Auflagen erfüllt werden?

RÜDIGER JURKE:

Ich habe einige Punkte ja schon erwähnt. Beim Fußboden ist es so, dass der nach den Vorgaben der Liga erneuert werden musste. Wir haben bis zum Pokal-Spiel gegen Bietigheim gezittert, wussten nicht, ob er richtig ausgehärtet. Wir konnten gar nicht richtig darauf trainieren – und die Werbeflächen werden auch erst zum ersten Punktspiel aufgebracht.

Auch die Buzzer-Technik ist entscheidend, die wir erst kurz vor dem ersten Spiel installieren konnten, wobei uns da wieder Enrico Alich mit seiner Elektrofirma geholfen hat.

Mammutaufgabe für den EHV

WOCHENENDSPIEGEL:

Wie schätzt Du die Stärke der 2. HBL ein?

RÜDIGER JURKE:

Ich denke, die zweite Handball-Bundesliga ist auf einem Niveau, das in anderen Ländern dem der ersten Ligen entspricht. Natürlich haben Minden, Nettelstedt, Nordhorn, Bietigheim oder Dresden gute Mannschaften und können um den Aufstieg mitspielen.  

Aber wie gesagt, es ist vieles möglich. Wer hätte im letzten Jahr gedacht, dass Eisenach aufsteigt oder Dessau so eine gute Saison spielt. Wir werden als Aufsteiger immer als einer der ersten Abstiegskandidaten genannt, weil wir auch im Vergleich, zum Beispiel mit unserem Mitaufsteiger Vinnhorst, wirtschaftlich klar im Hintertreffen sind.

Es wird also richtig, richtig schwierig, es muss alles klappen und wir brauchen auch ein wenig Glück, um die Klasse zu halten. Eine Mammutaufgabe, bei der uns auch die Zuschauer unterstützen müssen, wenn es mal nicht so läuft.

Alle müssen wissen, dass wir jetzt eine Klasse höher spielen und nicht von Sieg zu Sieg eilen werden, wie es bisher war. Die Vorbereitung hat gezeigt, dass es eine harte Saison werden wird. Es ist mindestens genauso schwer, die Liga zu halten, wie es der Aufstieg gewesen ist.

Die 2. Liga hat sich extrem entwickelt, ist bei einem durchschnittlichen Etat von zwei Millionen Euro angekommen. Davon sind wir ein ganzes Stück entfernt. Wir sind klarer Außenseiter, wollen diese Chance aber nutzen. Die Mannschaft ist gut und ist eingespielt.

WOCHENENDSPIEGEL:

Wäre der EHV finanziell in der Lage, im Bedarfsfall personell nachzurüsten?

RÜDIGER JURKE:

Wir haben kurz vor dem Pokalspiel noch zwei Spieler verpflichtet, die uns sicher weiterhelfen werden. Francisco Pereira, kommt aus Berlin von den Füchsen II. Der 23-jährige, 1,89 Meter große Linkshänder wurde in Lissabon geboren und hat die britische Staatsbürgerschaft. In der vergangenen Saison erzielte er auf Rechtsaußen aus 22 Spielen 85 Tore für die Füchse in Liga 3.

Wir mussten auf dieser Position handeln, weil wir nach der Verletzung von Elias Bombelka, der längere Zeit ausgefallen ist, dort ein Problem hatten. Wenn sich Staffan Peter in der Saison verletzten würden, wäre es dort eng geworden.

Die Neuen beim EHV

Dann haben wir den 25-jährigen Serben Marko Vignjevic von Erstligaabsteiger GWD Minden verpflichtet. Er soll vor allem den Mittelblock verstärken und bespielt die halblinke Position. Der 1,98 Meter große Aufbauspieler hat alle Jugendauswahlmannschaften seines Heimatlandes Serbien durchlaufen, bringt viel Erfahrung mit, hat auch international gespielt. Er hatte sich im letzten Jahr das Kreuzband gerissen, wird für uns aber vor allem in der Abwehr ein wichtiger Faktor sein.

Dann ist aber Ende der Fahnenstange – und wir haben uns schon weit rausgelehnt. Es wird in keinem Fall weitere Verpflichtungen geben, weil das finanziell nicht möglich ist.

Mit den beiden Leipzigern, Staffan Peter und Jakob Leun, die bereits im Februar nach Aue wechselten und den beiden Youngstern, Torben Lange und Ivo Petkov, ist die Kaderplanung für die laufende Saison bei uns abgeschlossen.  Wir haben ein junge, eingespielte Mannschaft. Gerade David Sova und Torben Lange haben gezeigt, was sie bringen und sind für mich die Gewinner der Vorbereitung.

Der EHV-Plan: Gewinn machen!

In den letzten zweieinhalb Jahren hat der Verein durch Corona 250.000 Euro eingebüßt. Jetzt haben wir es geschafft, die letzte Saison fast mit einer schwarzen Null abzuschließen. Jetzt wollen wir versuchen, ein wirtschaftlich positives Ergebnis zu erreichen, um die Lizenz problemlos zu bekommen. Leider war es so, dass wir während der Pandemie nur Kredite zur Überbrückung bekommen haben, die wir komplett zurückzahlen müssen. In anderen Bundesländern gab es für die Klubs Soforthilfen, die nicht refinanziert werden müssen. Das war ungerecht und die Politik hat direkt auf den Sport Einfluss genommen.

Jetzt hoffen wir auf eine starke Unterstützung durch unsere Fans, auf eine immer rappelvolle Halle, damit wir zu Hause wieder eine Macht werden.