Start Mittelsachsen Ein frommer Wunsch beseelt die Welt: Friede auf Erden! - regionale Politiker zum Thema Syrien-Einsatz
Artikel von: Redaktion
24.12.2015

Ein frommer Wunsch beseelt die Welt: Friede auf Erden! – regionale Politiker zum Thema Syrien-Einsatz

Reverend Dr. Martin Luther King, Jr. und Präsident Lyndon B. Johnson während eines Treffens im Weißen Haus. Foto: Yoichi Okamoto/Wikipedia
Reverend Dr. Martin Luther King, Jr. und Präsident Lyndon B. Johnson während eines Treffens im Weißen Haus. Foto: Yoichi Okamoto/Wikipedia

Mittelsachsen. Der WochenENDspiegel Mittelsachsen hat Politiker aus der Region zu Ihrer Sicht auf den derzeitigen Syrien-Einsatz der Bundeswehr befragt. In dieser schwierigen Zeit voller Ungewissheit, Unsicherheit, voller Zweifel und Gewalt, die uns national wie international vor große Aufgaben stellt, ist es ganz besonders wichtig, sich auf Werte wie Menschlichkeit und Nächstenliebe für ein friedliches Miteinander zu besinnen. Vorurteile und Hass sind definitiv der falsche Weg.
Schon Dr. Martin Luther King predigte an Weihnachten 1967 in der Ebenezer Baptist Church in Atlanta den „Friede auf Erden“ mit den Worten: „Diese Weihnachtszeit findet uns als ein ziemlich ratloses Menschengeschlecht. Wir haben weder Frieden in uns noch Frieden um uns. Überall quälen lähmende Ängste die Menschen bei Tag und verfolgen sie bei Nacht. Unsere Welt ist krank an Krieg. Wohin wir uns immer wenden, sehen wir seine verhängnisvollen Möglichkeiten. Und doch, meine Freunde, kann die Weihnachtshoffnung auf Frieden und guten Willen unter allen Menschen nicht länger als eine Art frommer Traum von einigen Schwärmern abgetan werden. Wenn wir in dieser Welt nicht guten Willens gegen die Menschen sind, werden wir uns durch den Missbrauch unserer eigenen Werkzeuge und unserer eigenen Macht selbst vernichten. Klugheit aus Erfahrung sollte uns sagen, dass der Krieg etwas Überholtes ist.“
Aus diesem Grund fragten wir vom WochenENDspiegel Mittelsachsen einige Lokalpolitiker nach Ihrer ganz persönlichen Meinung zum Einsatz der Bundeswehr in Syrien.

 

Marco Wanderwitz, Mitglied des Deutschen Bundestages. Foto: www.wanderwitz.de
Marco Wanderwitz (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages. Foto: www.wanderwitz.de

Wie sehen die Lage, wiederholen sich jetzt die Fehler des Afghanistan-Einsatzes (den Karl-Theodor zu Guttenberg auch offiziell als Krieg bezeichnete) in Syrien?
Politik ist oft die Kunst des Möglichen bzw. das Abwägen zwischen zwei Übeln. “Nichts ist gut in Afghanistan”, so sagte es die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann 2009. Das mag so sein – aber es war zuvor schlechter, und ist es wieder, seit die NATO sich zurückzieht. Die Gewalt gegen Mädchen und Frauen kehrt ohne westliche Soldaten ebenso zurück, wie das Land wieder in Terror versinkt – mit allen Folgen für unsere Sicherheit. Deshalb haben wir in Afghanistan den Rückzug gestoppt. Auch gegen die Mörderbande IS hilft Zuschauen nicht. Er ist eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Illusionen, dass man westliche Demokratien im “arabischen Frühling” exportieren könnte, führten in großes Chaos – großen “Monsterdiktatoren” folgten noch größere. Dieser Krieg wird lange dauern. Nicht Alles wird gut sein. Aber hoffentlich Manches wieder besser werden; nicht zuletzt, damit die Flüchtlinge wieder nach Hause zurückkehren können.
Benötigen wir für einen Einsatz ein Mandat des Weltsicherheitsrates? Oder ist er völkerrechtswidrig, weil es eben kein Mandat des Sicherheitsrats gibt?
“Frankreich hat die EU-Mitgliedsstaaten um Beistand nach der EU-Beistandsklausel (Art. 42 VII EU-Vertrag) um Beistand gebeten. Auf dem Treffen des Rates der EU-Verteidigungsminister in Brüssel am 17.11.2015 haben alle Mitgliedsstaaten einhellig diesen Antrag unterstützt. Rechtsgrundlage des deutschen Einsatzes ist Art. 24 II GG i.V. mit Art. 51 Charta der VN (Recht auf kollektive Selbstverteidigung). Die VN sind ein System kollektiver Selbstverteidigung i.S. des GG. Seit den Anschlägen vom 11.9.2001 ist anerkannt, dass ein Staat sich, auch mithilfe anderer Staaten, gegen Angriffe eines Terrornetzwerks verteidigen darf. Für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ist es nicht erforderlich, dass stets eine ausdrückliche Sicherheitsresolution nach Kapitel VII der VN-Charta vorliegt; ansonsten wäre die Bestimmung des Art. 51 VN-Charta überflüssig. Die Selbstverteidigung besteht vielmehr so lange, bis es dem Sicherheitsrat gelingt, mithilfe einer Kapitel-VII-Resolution die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Verstärkende Legitimationswirkung entfaltet konkret die Sicherheitsratsresolution 2249. Sie ist zwar keine Resolution nach Kapitel VII der VN-Charta, stellt aber mit den Formulierungen des Kapitel VII fest, dass der IS eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ist. Daher ruft der Sicherheitsrat die Staaten dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, weitere Terrorakte des IS zu verhindern.”
Ängstigt Sie der Gedanke, dass sich Frank-Walter Steinmeiers geäußerte Hoffnung, “sich im Syrienkrieg nicht im Luftraum feindlich mit Russland zu berühren”, nicht erfüllen könnte?
“Ich denke, dass das ein Restrisiko hat, so voll, wie der Luftraum dort inzwischen ist. Aber weniger als feindliche Berührung, denn als “Unfall” ob der schieren Masse der operierenden Staaten, die nur bedingt abgestimmt sind. Wir arbeiten mit der Mission weder gegen den russischen Verbündeten Assad noch gegen Russland, sondern gegen den IS. Russland bekundet, dies ebenfalls zu tun. Folglich sollte es keine “Verwirrungen” geben.”
Welche nichtkriegerischen Lösungsansätze sehen Sie für das IS- und Terrorismus-Problem?
“Die “Wiener Verhandlungen” sind der wichtigste Lösungspfeiler. Es muss gelingen, eine Verständigung am Verhandlungstisch zwischen der verhandlungsbereiten Opposition und dem Regime in Syrien zu erreichen, um gemeinsam gegen den IS vorzugehen. Ziel ist eine Übergangsregierung, die folgend die Staatlichkeit Syriens erhält und einen Transformationsprozeß weg von Assad ermöglicht. An die Stelle des Chaos, das die Ausbreitung des IS ermöglichte, muss eine neue regionale Ordnung treten. Wir müssen, daran arbeiten wir, die Finanzquellen des IS austrocknen, die IS-Propaganda in den sozialen Netzwerken bekämpfen, und die Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit erhöhen. Befreite Gebiete müssen politisch und gesellschaftlich stabilisiert werden, damit die Menschen wieder Lebensperspektiven in ihrer Heimat sehen. Eine Herkulesaufgabe.”

 

Falk Neubert(DIE LINKE), Mitglied des Sächsischen Landtages. Foto: Foto: DiG/trialon
Falk Neubert (DIE LINKE), Mitglied des Sächsischen Landtages. Foto: DiG/trialon

Wie sehen Sie die Lage, wiederholen sich jetzt die Fehler des Afghanistan-Einsatzes in Syrien?
“Ja, der Terror kann nicht militärisch besiegt werden. Das zeigen alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Der Krieg in Afghanistan, aber auch im Irak, in Libyen und zuletzt in Mali haben viele zivile Opfer gefordert und die Terrorgruppen eher gestärkt als geschwächt. Leider wurde aus diesen Erfahrungen nichts gelernt und die gleichen Fehler werden jetzt bei dem Syrien-Einsatz gemacht.”
Benötigen wir für einen Einsatz ein Mandat des Weltsicherheitsrates? Oder ist er völkerrechtswidrig, weil es eben kein Mandat des Sicherheitsrats gibt?
“Dieser Einsatz ist meiner Meinung nach völkerrechtswidrig. Denn weder liegt eine UNO-Resolution nach Kapitel 7 UN-Charta vor, noch die Anforderung der syrischen Regierung für die Aufklärung durch Tornado-Flugzeuge der Bundeswehr. Das syrische Staatsgebiet ist somit als „vogelfrei“ erklärt worden. Deutschland dürfte sich also an jeglichen militärischen Einsätzen dort nicht beteiligen.”
Ängstigt Sie der Gedanke, dass sich Frank-Walter Steinmeiers geäußerte Hoffnung, “sich im Syrienkrieg nicht im Luftraum feindlich mit Russland zu berühren”, nicht erfüllen könnte?
“Diese Hoffnung ist völlig realitätsfremd. Das zeigt schon der Abschuss des russischen Militärflugzeuges durch die Türkei. Die Fronten in diesem Krieg sind völlig unübersichtlich – es sind ja nicht nur die Fronten zwischen den Bürgerkriegsparteien, sondern auch die zwischen den externen Akteuren, wo de facto jeder für seine eigenen Interessen kämpft. Im Syrienkrieg steckt ein großes internationales Eskalationspotenzial. Es ist leider zu befürchten, dass Deutschland am Ende nicht nur eine beobachtende Position einnimmt, sondern auch eine kämpfende. Dass wir dabei auch unschuldige Zivilisten mit treffen, ist dann leider unausweichlich und für mich ein Grund, warum wir uns nicht an diesem Einsatz beteiligen sollten.”
Welche nichtkriegerischen Lösungsansätze sehen Sie für das IS- und Terrorismus-Problem?
“Der Terror bzw. der IS lässt sich nicht durch Krieg bekämpfen, sondern sein Nachschub an Waffen und Kämpfern sowie dessen Finanzierung müssen konsequent unterbunden werden. Dass heißt, alle Waffenexporte in die Region müssen gestoppt, die internationalen Bankkonten des IS aufgespürt und eingefroren, die Zusammenarbeit mit den größten Terror-Sponsoren Saudi Arabien und den Golfstaaten beendet und die Türkei endlich dazu bewegt werden, die Grenze zu Syrien für jegliche IS-Unterstützung zu schließen. Und es ist eine Frage der Entwicklungs- und Sozialpolitik. Den Jugendlichen, die sich hier vom Staat abgehängt fühlen und sich deshalb vom IS rekrutieren lassen, muss eine Perspektive geboten werden. Dass bedeutet u. a. eine massive Aufstockung von Mitteln für Präventionsprogramme sowie mehr Geld in die Bildung und Ausbildung junger Menschen zu stecken.”

Dieter Greysinger (SPD), Bürgermeister Hainichen. Foto: Dieter Greysinger/Facebook-privat
Dieter Greysinger (SPD), Bürgermeister Hainichen. Foto: Dieter Greysinger/Facebook-privat

“Als Kommunal-/Lokalpolitiker hat man sicherlich eine private Meinung. Allerdings will ich diese zum Thema “Syrien” nur bedingt öffentlich zum Ausdruck bringen, da ich – aufgrund meiner sehr intensiv gebundenen Zeit als Bürgermeister – nur sehr rudimentär mit der Thematik beschäftigt bin.
Einige wenige Dinge von denen ich zum 100 Prozent überzeugt bin:
Eine Lösung kann nur dann eine Chance haben, wenn Russland/Putin mit involviert ist. Wir haben in Westeuropa im Zusammenhang mit Russland in letzter Zeit nicht immer klug gehandelt. Meines Erachtens müssten als erster Schritt gegen Russland die Sanktionen aufgehoben werden.
Gerade die Polen sind es, die hier gerne eine harte Linie gegenüber Moskau fahren und dies auch von uns einfordern. Aber diese Polen lassen uns beim Flüchtlingsthema völlig im Stich. Insofern hätte ich hier keinerlei Befindlichkeiten, wenn wir sagen “wir halten den Zeitpunkt gekommen, die Sanktionen aufzuheben”.
Ich bin grundsätzlich eher gegen Kriegseinsätze, meine aber, dass man die Situation, wie sie mit dem IS derzeit ist, auch nicht mit reinen Appellen bekämpfen können. Der IS muss zerstört werden. Meistens haben Kriegseinsätze wenig gebracht. Allerdings ist zumindest auf dem Balkan nach dem Einsatz gegen Serbien eine – wenn auch sehr fragile – Ruhe eingekehrt. Eine Lösung kann es nur im gesamten Nahen Osten geben und da müssten meines Erachtens Israel, der Iran und Saudi Arabien auch mit einbezogen werden.
Ich hätte wohl- wenn ich im Bundestag sitzen würde – mit einem leicht flauen Gefühl im Magen auch für den Bundeswehreinsatz gestimmt. Mir wäre es jedoch lieber gewesen, es hätte ein Mandat des Weltsicherheitsrates vorgelegen.
Als Sozialdemokrat bin ich nach wie vor sehr stolz – und halte es auch für eine der größten Errungenschaften der Schröder/Fischer-Regierung – damals George W. Bush im Irak nicht unterstützt zu haben. Bush gehört für mich noch heute vor ein Kriegsgericht gestellt.”

 

Volker Holuscha (DIE LINKE), Oberbürgermeister Flöha. Foto: Roman Pfüller
Volker Holuscha (DIE LINKE), Oberbürgermeister Flöha. Foto: Roman Pfüller

Wie sehen die Lage, wiederholen sich jetzt die Fehler des Afghanistan-Einsatzes (den Karl-Theodor zu Guttenberg auch offiziell als Krieg bezeichnete) in Syrien?
“Genau. Als hätten die letzten fünfzehn Jahre Krieg und Zerstörung, auch durch unser Land und seiner Verbündeten nicht bewiesen, dass der Terror nicht mit Bomben zu stoppen ist. Im Gegenteil. Die Welt ist instabiler geworden, Kriege weiten sich in ungeahnte Ausmaße und Regionen aus und der Terror bekommt dadurch steten Zuwachs, mit immer radikaler werdenden Erscheinungsformen.”
Benötigen wir für einen Einsatz ein Mandat des Weltsicherheitsrates? Oder ist er völkerrechtswidrig, weil es eben kein Mandat des Sicherheitsrats gibt?
“Meines Erachtens ist dieser Kriegseinsatz völkerrechtlich nicht gedeckt und das Fehlen eines UN-Mandates macht Angst. Der Gründungsgedanke der Vereinten Nationen versuchte gerade solche unautorisierten Kampfeinsätze weltweit zu verhindern.”
Ängstigt Sie der Gedanke, dass sich Frank-Walter Steinmeiers geäußerte Hoffnung, “sich im Syrienkrieg nicht im Luftraum feindlich mit Russland zu berühren”, nicht erfüllen könnte?
“Wir beginnen an einer Gewaltspirale mitzudrehen, die ab einer bestimmten Stufe von niemanden mehr beherrschbar ist.”
Welche nichtkriegerischen Lösungsansätze sehen Sie für das IS- und Terrorismus-Problem?
“Abschneidung der Geldquellen des IS in den vor allem arabischen Staaten, schnelle und umfangreiche humanitäre Hilfe der riesigen Flüchtlingslager in den Nachbarländern von Kriegen und rasche Aufbauhilfen für zerstörte und verelendete Kriegs- und Krisenregionen durch die Weltgemeinschaft. Ich glaube nicht, dass  weniger als hunderttausend IS-Kämpfer in der heute global vernetzten Zeit, von Ländern mit riesigen finanziellen Ressourcen nicht wirksam zu bekämpfen sind!
Ein Ende der unsäglichen weltweit profitablen Geschäfte von Waffenexporten in Kriegs- und Krisenregionen.
Die Integration von Schutzsuchenden in Europa, damit diese keine Kandidaten für radikalislamische Anwerbungen werden.
Auch gilt es die  weltweit verdeckten Infrastrukturen des Terrorismus mit allen modernen Mitteln aufzudecken und zu zerstören.
Letztlich die Stärkung der inneren Sicherheit in den Ländern, welche potenzielle Angriffsziele des Terrors sind.”