Start Erzgebirge Eric Frenzel: Stockbruch
Artikel von: Sven Günther
24.01.2017

Eric Frenzel: Stockbruch

Kolumne von Eric Frenzel: Stockbruch

Was der Knoblauch für den Vampir ist, ist wohl für uns Athleten ein Stockbruch im Rennen, insbesondere wenn er sich in der entscheidenden Phase des Rennens ereignet.
Ein solcher Stockbruch kommt gar nicht so selten vor. An sich ist so ein Carbon-Stock stabil, erhält er doch einen stumpfen Stoß durch einen anderen harten Gegenstand, bricht er ähnlich keramischen Werkstoffen.

In den letzten Jahren von einem solchen Malheur verschont geblieben, widerfuhr mir am letzten Samstagrennen ein derartiges Missgeschick: 800 Meter vor dem Ziel befand ich mich in der Spitzengruppe auf dem Weg zu einem letzten kleinen Anstieg. In einer engen Kurve rückten die Athleten stark zusammen und in der Luft trafen sich mein Stock und der Ski eines neben mir laufenden Athleten. Der Schub meiner Führhand ging ins Leere, wodurch ich im ersten Moment leicht ins Straucheln kam. Ein schneller Blick auf die Hand ließ die Vermutung Gewissheit werden. Das, was an der Handschlaufe baumelte. würde mir nicht wirklich auf dem Weg zum Ziel weiterhelfen.

Nach einer Schrecksekunde verfällt der Athlet dann in eine Art Notfallprogramm, bei der zwei Dinge im Vordergrund stehen: da in meinem Fall die Führhand betroffen war, musste ich mein Anschub-und Laufverhalten ändern. Die Hand mit dem intakten Stock muss die Führung und den entsprechenden Druck übernehmen. Nun ist es so, dass man im Training manchmal Übungen mit einem Stock versieht, so dass auch diese Dinge halbwegs automatisiert und darstellbar sind. Die zweite Frage stellt sich dann nach dem schnellstmöglichen Ersatz: woher bekomme ich einen neuen Stock?

Mein Glück im Unglück war, dass sich der Stockbruch kurz nach der Coaching -Zone ereignete und von einem der deutschen Betreuer noch gerade so gesehen werden konnte. Per Funk wurde dieser Umstand dann an den nächsten Streckenposten übermittelt. Die Streckenposten führen ein kleines Stockdepot mit sich. Für jeden Athleten, der sich im Rennen befindet, wird der Stock in seiner Größe vorgehalten. Nach Eintreffen der Funknachricht wird und wurde auch bei mir schnell gehandelt. Der Streckenposten sprintete entlang der Wettkampfstrecke mir entgegen. Nach etwa 500 Metern sah ich unseren Mann mit dem Stock winkend auf mich zukommen. Dann folgt bzw. folgte der schwierigste Moment der Ersatzbeschaffung. Da ich mich auf der Abfahrt befand, hatte ich schon ein relativ hohes Tempo. Wie bei einer Staffelübergabe, kann man so natürlich schnell mal vorbeigreifen oder der Gebende hält den Stock nicht passend an. Kurz vor dem Zusammentreffen mit meinem Betreuer löste ich die Handschlaufe des Stocks und warf denselben seitlich in den Schnee. Sekunden später griff ich den perfekt in die Loipe gehaltenen Ersatzstock und schlüpfte mit der Hand in die Schlaufe…und war wieder vollwertig ausgerüstet.

Während ich fast einen halben Kilometer mit meinem Problem zu kämpfen hatte, konnte sich die Spitzengruppe selbstverständlich von mir lösen. Auch bei kleineren Anstiegen hat man gegen andere Weltklasseathleten keine Chance, wenn einem der Stock fehlt. Im Grunde genommen versucht man in einer solchen Situation, den Kampf gegen die auflaufenden Athleten zu gestalten und für sich zu entscheiden, indem man so schnell wie möglich den Ersatz in die Hände bekommt. Die Entscheidung in der Spitze fällt ohne einen. So bin ich im Ergebnis doch recht zufrieden, dass ich trotz dieses kleinen Unfalls noch den vierten Platz retten und damit auch wichtige Punkte im Kampf um den Gesamtweltcup sammeln konnte.

Auch nach Seefeld reise ich nun im Gelben Trikot an und freue mich auf den bevorstehenden Triple-Wettkampf, bei dem ich in den letzten Jahren bei neun Starts neunmal erfolgreich sein durfte. Das nehme ich mal als ein gutes Omen und sage allen, die mich an dieser Stelle auf dem Weg durch den Weltcup begleiten meine herzlichsten Grüße.