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Artikel von: Sven Günther
28.10.2022

Gnadenhochzeit statt Coronatod

Werner Lachmann in seinem Garten in Bernsbach neben seiner „Zaubernuss“. Foto: Uwe Zenker

Im Schatten der Zaubernuss

Von Sven Günther
Region. Er hat sich wie immer schick gemacht. Helles Hemd, hellbrauner Pullunder, die silbergrauen Haare ordentlich gekämmt. Seine 94 Jahre sieht man Werner Lachmann nicht an. Der Rentner steht neben einem Busch, der herbstfarben leuchtet. Eine seltene Zaubernuss, eine Gattung der Hamamelis. „Meine Frau Anneliese hat ihn mir zum 75. Geburtstag geschenkt“, sagt der ehemalige Bohrwerker und denkt an längst vergangene Zeiten: „Ich wurde als 17-jähriger Junge zum Volkssturm gezwungen, musste in den Krieg ziehen, geriet in sowjetische Gefangenschaft und musste das Vernichtungslager Auschwitz mit abreißen. Die Polen hatten die Aufsicht, haben uns behandelt wie Verbrecher, auch wenn ich mit meinen 18 Jahren kein Täter war. Wir demontierten die Baracken, sprengten das Krematorium. Zuletzt musste ich im Eiswinter 1946/47 mit zwei Kameraden den Stacheldraht abreißen und auf eine Rolle wickeln. Die Leute sind massenhaft gestorben. Ich habe überlebt, weil ich klein und zäh war.“
Dann schaut er auf die Zaubernuss, denkt an seine Anneliese und sagt leise: „Es war hart, wir hungerten und froren. Aber so nah am Tod wie meine Frau, war ich in meinem ganzen Leben nicht.“

Gnadenhochzeit statt Coronatod

Werner Lachmann hat sich an seinen kleinen Wohnzimmertisch gesetzt, auf dem die Tageszeitung liegt, das Festnetztelefon und ein nicht mehr ganz modernes Mobiltelefon. Der Rentner hält ein Foto in den Händen, erzählt: „Meine Anneliese und ich am Tag unserer Gnadenhochzeit. Am 20. September 1952 haben wir in Naumburg geheiratet, obwohl wir damals schon in Bernsbach gewohnt haben. Meine Eltern lebten dort, haben das Fest ausgerichtet. Wir hatten ja nicht so viel Geld.“

Werner Lachmann schaut in seinem Wohnzimmer in Bernsbach das Foto an, das ihn und seine Frau am Tag der Gnadenhochzeit zeigt.

70 Jahre verheiratet. 70 Jahre durch Höhen und Tiefen des Lebens. Doch jetzt hätte Werner Lachmann seine Frau fast verloren. CORONA.
„Es war eine schwere Zeit. Anneliese war im Heim, weil es die Gesundheit nicht mehr anders zuließ“, sagt er leise. „Dann musste sie am Darm operiert werden, hat sich infiziert. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.“ Der Krankheitsverlauf war schwer. Klinik. Intensivstation. Beatmung. „Schließlich kam ein Arzt zu mir und sagte: ‚Es hat keinen Sinn mehr: Wir schalten die Geräte ab‘. Anneliese hatte ja eine entsprechende Patientenverfügung unterzeichnet“, erinnert sich der Senior und erzählt weiter: „Ich hatte mich schon von ihr gedanklich verabschiedet, die Hoffnung war geschwunden.“ Doch ein zweiter Mediziner war anderer Meinung, wollte eine weitere Nacht abwarten. So kam es, dass Anneliese noch diese eine Nacht beatmet wurde. Werner Lachmann: „Und es geschah ein Wunder. Sie überlebte bis zum Morgen und es ging ihr sogar gleich ein wenig besser.“ Nicht nur das. Die heute 88-Jährige erholte sich mehr und mehr, konnte schließlich wieder in das Pflegeheim Sonnenblick der Diakonie nach Bernsbach zurückgebracht werden.
Werner Lachmann: „Natürlich ist es nicht leicht. Anneliese kann sich nicht mehr selbstständig in den Rollstuhl setzen. Bis zum Frühjahr konnte ich ihr dabei noch so helfen, dass es ging. Jetzt schaffe ich es nicht mehr allein, brauche immer Unterstützung. Aber das Heim ist gut geführt und die Mitarbeiter kümmern sich liebevoll um meine Frau.“ Jeden Tag tuckert er mit seinem Auto die zweieinhalb Kilometer zur Einrichtung. Lachmann lächelt: „Naja, es ist eher ein Autochen, hört ja praktisch hinter den Sitzen auf. Eben ein 25-Km/h-Gefährt mit einem Honda-Rasenmähermotor, das ich auch ohne Führerschein fahren darf. Aber es bringt mich von A nach B und vor allem zu meiner Frau.“ Zu seiner Frau, mit der er seit 70 Jahren verheiratet ist. Das Heim organisierte am 20. September sogar ein kleines Fest zur Gnadenhochzeit und das Paar wurde am darauffolgenden Sonntag in der Bernsbacher Kirche eingesegnet.

Ein Foto von der Feier zur Gnadenhochzeit im Pflegeheim Sonnenblick der Diakonie in Bernsbach

Lachmann: „Es waren herrliche Stunden, an denen sich die ganze Familie versammelt hatte. Wir haben uns schön angezogen. Ich hatte meinen blauen Anzug an, Anneliese einen rosafarbigen Pullover und ihre Seidenbluse mit dem Silberfadeneffekt. Sogar der Bürgermeister hat uns gratuliert und ein Brief von Ministerpräsident Kretzschmer kam auch. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die diese wunderschöne Feier mit organisiert haben. Dass die Mitarbeiter des Heimes uns so geholfen haben, werde ich nie vergessen.“ Sagt er und schaut auf die herbstfarben leuchtende Zaubernuss in seinem Garten: „Ach, wie schön wäre es doch, wenn ich mit meiner Anneliese noch einmal neben ihr stehen könnte. Aber ich fürchte, der Wunsch wird sich nicht erfüllen.