Start Hanka Kliese (SPD): "Auch wir können von Menschen mit Handicap lernen: Kampfgeist, Unverstelltheit oder Kreativität"
Artikel von: Judith Hauße
02.08.2019

Hanka Kliese (SPD): “Auch wir können von Menschen mit Handicap lernen: Kampfgeist, Unverstelltheit oder Kreativität”

WochenENDspiegel-Redakteurin Judith Hauße im Gespräch mit Hanka Kliese (SPD) am Brühl in Chemnitz. Fotos: Benjamin Page

Region. Es wird eine Richtungswahl! Selten war der Gang zur Urne spannender, als er am 1. September sein wird. Bleibt die CDU stärkste Kraft in Sachsen? Wenn Ja, mit wem kann sie regieren? Wie stark wird die AfD, gewinnt sie vielleicht sogar? Was wird aus der schwächelnden SPD und den in Sachsen gegen den Trend eher schwachen Grünen? Gelingt in einem rot-rot-grünen Dreierbund ein Regierungswechsel? Welche Rolle wird die FDP einnehmen? Können die Freien Wähler wie in Bayern eine Rolle spielen?

Wer sich traut, darf für sich trommeln! Dieses Angebot macht der WocheENDspiegel sächsischen Landtagskandidaten. Sie beantworten kritische Fragen unserer Journalisten.

Heute: Hanka Kliese: Abgeordnete für Chemnitz im Sächsischen Landtag. Zur Landtagswahl 2014 wurde sie erneut gewählt und ist nun als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD aktiv.

Hier geht es zum Trommel-Wirbel von Hanka Kliese:

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Sie sind Sprecherin für Inklusion der SPD-Fraktion und das neue Gesetz zum Thema Inklusion ist verabschiedet. Jetzt können Menschen, „die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können“ an Wahlen teilnehmen. Können Sie erklären, wie das technisch geht?

Ja, das ist ganz einfach. Bisher haben diese Menschen gar keine Wahlbenachrichtigung erhalten, weil sie eben nicht als berechtigt eingestuft waren. Jetzt wird das Wählerverzeichnis auf diese Zielgruppe erweitert und sie erhalten auch eine Benachrichtigung – über ihre Betreuung oder an ihre Einrichtung zum Beispiel. Dann können sie – mit oder ohne Unterstützung – wählen gehen. Wie andere Menschen auch.

Wie andere Menschen auch – ist ja nicht ganz richtig. Geistig Behinderte können doch nur sehr schwer eine politische Entscheidung treffen…

Es ist ein sehr veraltetes Menschenbild, das davon ausgeht, dass Menschen mit geistiger Einschränkung politisch nicht entscheidungsfähig sind. Aus persönlicher Erfahrung kann ich aber sagen, ich selber bin oft in einem Freizeitclub für diese Menschen unterwegs und führe auch mit ihnen politische Diskussionen. Dabei habe ich überhaupt nicht den Eindruck, dass sie sich über Politik keine eigene Meinung bilden können. Zwar haben sie andere Vorstellungen bzw. Prämissen, doch die Fragen, die sie an die Politik stellen, unterscheiden sich selten von denen der anderen ohne geistige Einschränkungen.

Im Prinzip würden Sie dann aber dem Betreuer ein doppeltes Stimmrecht einräumen. Ist das denn verfassungskonform?
Ja, es gab dazu ein Urteil seitens des Verfassungsgerichtes. Dieses besagt, dass Menschen, die unter Betreuung stehen das Recht zum Wählen gegeben werden muss. In Bezug auf die Problematik eines doppelten Stimmrechts sind die Maßnahmen nun auch insofern verschärft worden, dass eine Manipulation, die ja auch bei jeder anderen Form der Briefwahl eintreffen könnte, nun zur Straftat werden kann.

Inklusion ist Ihre Kernkompetenz. Weswegen ist Ihnen das so wichtig?

Jeder Mensch hat Begabungen und Fähigkeiten. Wir leben in einer Zeit, in der Abweichen von der Norm einerseits stärker thematisiert wird als früher, andererseits das Streben nach Selbstoptimierung höher ist denn je. Letzteres halte ich für keine gute Entwicklung. Mir geht es darum, dass wir politisch und gesellschaftlich die Bedingungen schaffen, dass alle Menschen ihre Talente zeigen und nutzen können, dass sie gesehen werden und es keine Ausgrenzung gibt. Davon können wir alle nur profitieren. Auch wir können von Menschen mit Handicap lernen: Kampfgeist, Unverstelltheit oder Kreativität. Außerdem geht es mir darum, Angehörige von Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Ihnen wird oft das Leben durch Widrigkeiten mit Behörden, Kassen, aber auch durch Vorurteile zusätzlich schwer gemacht. Sie an dieser Stelle zu entlasten, sollte das Mindeste sein, was wir tun.

Die SPD als Inklusionspartei. Die SPD als Umweltpartei. Die SPD als Menschenrechtspartei. Die SPD als Kulturpartei. Als die SPD noch Arbeiter- und Volkspartei war, sahen die Umfragewerte besser aus. Verfolgen Sie falsche Ziele oder haben Sie den Draht zum Wähler verloren?

Die Umfragewerte sahen ganz ausgezeichnet aus, als die SPD sich als Kulturpartei etabliert hat: Im Willy-Brandt-Wahlkampf, der damals viele Kulturschaffende animiert hat, sich offen für die Sozialdemokratie zu bekennen. Inklusion ist nun ein neues Thema, aber kein Modetrend, sondern ein Gebot der Menschlichkeit. Darauf Wert zu legen heißt nicht, andere Dinge nicht mehr zu beachten. Ich frage mich oft: Wofür haben uns die Leute vor zehn, zwanzig Jahren gewählt, als es noch mehr waren? Ich denke, da spielten Themen wie Sicherheit und Rente eine wichtige Rolle, und das ist eben auch heute noch wichtig. Bei Themen wie Pflege, Alterssicherung und Bildung haben wir wichtige Kompetenzfelder, in denen wir uns deutlich von reinen Klientelparteien absetzen können.

Die SPD als Inklusionspartei. Die SPD als Umweltpartei. Die SPD als Menschenrechtspartei. Die SPD als Kulturpartei. Als die SPD noch Arbeiter- und Volkspartei war, sahen die Umfragewerte besser aus. Verfolgen Sie falsche Ziele oder haben Sie den Draht zum Wähler verloren?

Die Umfragewerte sahen ganz ausgezeichnet aus, als die SPD sich als Kulturpartei etabliert hat: Im Willy-Brandt-Wahlkampf, der damals viele Kulturschaffende animiert hat, sich offen für die Sozialdemokratie zu bekennen. Inklusion ist nun ein neues Thema, aber kein Modetrend, sondern ein Gebot der Menschlichkeit. Darauf Wert zu legen heißt nicht, andere Dinge nicht mehr zu beachten. Ich frage mich oft: Wofür haben uns die Leute vor zehn, 20 Jahren gewählt, als es noch mehr waren? Ich denke, da spielten Themen wie Sicherheit und Rente eine wichtige Rolle, und das ist eben auch heute noch wichtig. Bei Themen wie Pflege, Alterssicherung und Bildung haben wir wichtige Kompetenzfelder, in denen wir uns deutlich von reinen Klientelparteien absetzen können

Wie stehen Sie zum Thema Mainstream-Politik, sprich Wahlprogramm nach aktuellen Trends und Problemen, um Wählerstimmen zu bekommen, statt den ursprünglichen Kern der Partei zu verfolgen?

Davon halte ich wenig. Ich finde das den Wähler/innen gegenüber nicht sehr respektvoll. Das sind oft durchschaubare Manöver. Wir arbeiten seit einigen Jahren an wichtigen Themen wie der Aufarbeitung von Ungerechtigkeiten in Ostdeutschland oder Rentenpolitik, und das hat nichts mit den aktuellen Wahlen zu tun. Auch Martin Duligs Küchentisch gibt es schon länger. Manche tun ja gerade so, als sei der Bürgerdialog dank Pegida erfunden worden. Mein Büro und ich machen seit zehn Jahren Dialog-Angebote und viele andere tun das auch.  Zum ursprünglichen Kern ist noch zu bemerken, dass sich gesellschaftliche Verhältnisse auch ändern und ich es abseits des Mainstreams wichtig finde, darauf einzugehen. Die Arbeitswelt ist heute nicht mehr die vom Kaiserreich und die Arbeitnehmer/innen haben neue Themen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Beispiel. Die SPD muss die Partei sein, die Antworten auf die Fragen der modernen Arbeitswelt bereithält.

Polizeiabbau gestoppt, Lehrerproblematik behoben, Digitalisierung auf den Weg gebracht. Dinge, die auch die CDU für sich proklamieren wird. Wie wollen Sie es schaffen, die SPD-Errungenschaften herauszustellen?

Ganz einfach mal die Frage stellen: Hat es das in den fünf Jahren Regierungszeit zuvor gegeben? Und was wäre passiert, wenn die SPD nicht dabei gewesen wäre?

Mietpreisdeckel, Gemeinschaftsschulen oder die Anerkennung von Lebensleistungen – SPD und LINKE verfolgen ähnliche Ziele. Wäre Rot-Rot-Grün auch für Sachsen wünschens- und denkenswert?

In sozialen, bildungspolitischen und auch umweltpolitischen Fragen gibt es hier sehr viele Schnittmengen. Das Beispiel Thüringen zeigt, dass eine solche Regierung mit den entsprechenden pragmatischen Personen an der Spitze funktionieren kann. Das steht und fällt sehr stark mit den einzelnen Führungspersonen. Sicherlich wäre es auch für die politische Kultur im Freistaat einmal interessant, die CDU auf der Oppositionsbank zu sehen, denn das macht demütig. Mit den Grünen haben wir in der letzten Legislatur bereits Gesetzentwürfe gemeinsam mit der CDU eingebracht und das hat sehr gut funktioniert, dabei ging es um die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Dieser mir persönlich wichtige Punkt wäre aber ehrlicherweise so mit den LINKEN nicht möglich gewesen.