Start Kommentar: Die gescheiterte Demokratin
Artikel von: Judith Hauße
20.12.2021

Kommentar: Die gescheiterte Demokratin

Judith Hauße, stellv. Chefredakteurin, WochenENDspiegel. Foto: Privat

Von Judith Hauße
Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich etwas zur derzeitigen Lage sagen soll. Denn um ehrlich zu sein, habe ich schon langsam keine Worte mehr für das, was da gerade in diesem Land passiert. Bald sind es fast zwei Jahre, die wir in diesem Corona-Schlamassel stecken. Fast zwei Jahre, in denen unsere Regierung nichts aus den anfänglichen Fehlern gelernt hat, geschweige denn, diese nur ansatzweise eingestanden hat. Im Gegenteil, sie präzisiert nur das Chaos.

Ich wache jeden Tag mit einem Deja-Vu auf. Die Pandemie ist von Beginn an geprägt von Empfehlungen und noch mehr Empfehlungen, nicht zu vergessen, die unzähligen Versprechungen. Das soll aber hier nicht das Thema sein. Denn es braucht jetzt keine Vorhalte, sondern Lösungen. Ich will auf etwas ganz anderes hinaus. Die aktuelle Lage schürt schließlich ein ganz anderes Problem, was meiner Meinung nach, noch viel gefährlicher ist. In einem Land, in dem ich mein ganzes Leben lang nichts anderes kenne als Demokratie, in Frieden und Sorglosigkeit aufgewachsen, fühle ich mich dennoch als Verlierer. Gescheitert an was? An mir selbst? Ich, die jedes rechtsradikale Gedankengut verabscheue. Ich, die Kriminelle, egal welcher Nationalität sie abstammen, verurteile? Weil ich die deutsche Sprache vor unnötigen Verrenkungen schützen will? Die Absurdität dieses Gedankenspiels ist nicht zu überlesen. Ich schätze die Demokratie, weil sie auch der Minderheit eine Stimme gibt. Doch wenn es nur noch schwarz oder weiß – ungeimpft und geimpft – rassistisch – ethnisch gibt, dann läuft hier definitiv etwas, wovon wir die Tragweite besser nicht kennen, sondern lieber verhindern sollten!

Normale Debatten gibt es schon lange nicht mehr. Kategorisch wird alles abgelehnt, was nicht gefällt. Jeder verschanzt sich nur noch in seine eigene Blase oder sucht Unterschlupf in ebendiese mit Gleichgesinnten. Und da muss ich die Ansicht unseres neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz widersprechen, wenn er meint, Deutschland sei nicht gespalten.

Wir befinden uns nicht am Anfang einer gespaltenen Gesellschaft, wir sind mittendrin! Fangen wir also lieber sofort an, uns wieder gegenseitig zuzuhören, Argumente des anderen nicht sofort abzuschmettern, sie lieber zu diskutieren, so wie wir es von einer gesunden Demokratie gewohnt waren.

„Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln“,  Zitat von Otto von Bismarck