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Artikel von: Sven Günther
15.04.2021

Was macht Corona mit der Psyche, Herr Chefarzt?

Evgeniy Romanov ist Chefarzt der Klinik für Seelische Gesundheit im Helios Klinikum Aue. Foto: Helios Klinik

Die Pandemie ist auch ein gesellschaftliches Problem

WochenENDspiegel-Redakteurin Natalie Scheffler im Gespräch mit Evgeniy Romanov, Chefarzt der Klinik für Seelische Gesundheit im Helios Klinikum Aue

WochenENDspiegel:
Gibt es derzeit mehr Menschen, die aufgrund der Corona-Situation an psychischen Problemen leiden?

EVGENIY ROMANOV:
Die Corona-Situation kann für Menschen zu einer psychischen Krise werden. Dabei muss man unterscheiden zwischen gesunden Menschen und Menschen, die bereits im Vorfeld psychische Erkrankunen gehabt haben. In der Literatur kann man nachlesen, dass die psychischen Erkrankungen zugenommen haben durch die Folgen der Pandemie. Vor allem werden Depressionen, Ängste und posttraumatische Belastungsstörungen genannt. Auch ein gesunder Mensch, der plötzlich an Corona erkrankt, kann mit psychischen Symptomen darauf reagieren, da es ihn in eine Stresssituation bringt. Andererseits können sich die Symptome bei Menschen mit psychischen Vorerkrankungen verstärken.
Allerdings sind die Aufnahmezahlen von Patienten in unserer Klinik während der Corona-Zeit nicht gestiegen. Wobei wahrscheinlich auch viele Angst davor haben, aktuell ins Krankenhaus zu gehen. Diese Angst ist aber nicht berechtigt.

WochenENDspiegel:
Mit welchen Schwierigkeiten bzw. Symptomen haben diese Menschen zu kämpfen?

EVGENIY ROMANOV:
Manche haben Depressionen, Ängste, Schlafstörungen, andere trinken mehr Alkohol, um ihr Stresslevel zu reduzieren. Es sind sehr viele verschiedene Symptome möglich, denn jeder Mensch reagiert anders auf stressbedingte Situationen.

WochenENDspiegel:
Kann man sagen, dass Menschen nicht nur Angst haben an Corona zu erkranken, sondern dass es vor allem um die Folgen der Pandemie geht?

EVGENIY ROMANOV:
Genau, viele verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle. Die Pandemie ist ja nicht nur ein medizinisches Problem, sondern ein allgemein gesellschaftliches Problem. Zusätzliche Belastungen können Existenzängste sein, das Betreuen der Kinder zuhause oder auch das Gefühl der Isolation. Vereinsamung und die fehlende Kommunikation sind auch Faktoren, die sich auf das tägliche Leben auswirken und so zum Auftreten von psychischen Problemen führen können.

WochenENDspiegel:
Ein Stück weit ist das ja auch normal, dass man diese Ängste hat. Ab wann kann man denn sagen, dass eine Behandlung notwendig ist?

EVGENIY ROMANOV:
Prinzipiell sagt man, wenn spätestens nach zwei Wochen keine Verbesserung der Symptome auftritt, wenn beispielsweise Schlafstörungen nicht in den Griff zu bekommen sind, oder depressive Verstimmungen und Ängste überhand nehmen, sodass das soziale Leben eingeschränkt wird und ein Rückzug stattfindet, wenn das Gefühl der Hilflosigkeit dauerhaft auftritt, dann sollte man spätestens eine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

WochenENDspiegel:
Welche Möglichkeiten der professionellen Hilfe gibt es, und wie sehen diese unter Corona-Bedingungen aus?

EVGENIY ROMANOV:
Bei uns in der Klink haben wir die Möglichkeit einerseits bei schweren Fällen den Patienten stationär, tagesklinisch oder ambulant zu behandeln. Zudem haben wir für die Bevölkerung ein sogenanntes Not-Telefon eingerichtet, wo Psychologen präsent sind. Sie beraten auch dazu, welche Möglichkeiten es für den Betroffenen gibt. Es gibt auch die Möglichkeit der Online-Sprechstunden.

WochenENDspiegel:
Wird das psychologische Not-Telefon in Anspruch genommen?

EVGENIY ROMANOV:
Ja, denn letztendlich ist es ein unverbindliches Angebot und eine Beratungsmöglichkeit zu Fragen wie: Was kann ich in meiner Situation tun? Welche prinzipiellen Möglichkeiten stehen zur Verfügung?

WochenENDspiegel:
Was wird da Menschen beispielsweise geraten? Gibt es Dinge, die sie sofort umsetzen können?

EVGENIY ROMANOV:
Es gibt ja viele Resilienzfaktoren, die die Widerstandskraft eines Menschen gegenüber äußeren Einflüssen (das ist die sog. Resilienz) erhöhen. Während der Corona-Zeit muss man darauf achten, dass diese Faktoren gestärkt werden. Einerseits spielt Information eine wichtige Rolle, dass die Menschen über ihre Möglichkeiten aufgeklärt sind, aber auch über die Pandemie. Zudem ist es wichtig, weiterhin mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben, indem man z.B, Telefonie oder Videotelefonie nutzt. Es sollten feste Tagesstrukturen etabliert werden. Auch sportliche Aktivitäten spielen dabei eine wichtige Rolle. Letztendlich sind alle Maßnahmen darauf ausgerichtet, dass man versucht, all die Aktivitäten, die man vorher gemacht hat, aufrecht zu erhalten – auch wenn es vielleicht in veränderter Form ist. Aber das ist ein unterstützender Faktor im Umgang mit Stress. Damit man auch ein Gefühl für Normalität bekommt.
Wir versuchen die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten, damit mehr Menschen die professionelle Hilfe – sofern sie alleine nicht zurecht kommen – in Anspruch nehmen. Das ist beispielsweise durch das Notfall-Telefon gegeben.

WochenENDspiegel:
Verbessert sich der Zustand der Menschen dadurch oder kann man sagen, dass erst mit Ende der Pandemie eine Verbesserung erreicht wird?

EVGENIY ROMANOV:
Letztendlich sind Menschen lernfähig, sie lernen immer wieder mit Stress umzugehen und sich an die Situation anzupassen. Man sagt aber auch dass die Verarbeitung eines Ereignisses solches Ausmaßes erst später erfolgt, wenn das Ereignis bereits vorbei ist. Denn wenn der Mensch in der Stresssituation ist, befindet er sich im Überlebensmodus. Erst danach kann er das Ereignis richtig verarbeiten.

WochenENDspiegel:
Gibt es aber auch Menschen, die sagen, dass die Situation etwas Gutes hat, dass sie etwas daraus gelernt haben?

EVGENIY ROMANOV:
Ja natürlich, das ist der normale Umgang mit Stress. Der Mensch befindet sich in der Stresssituation und reagiert dann darauf, lernt damit umzugehen. Um dann auch in ähnlichen Situationen besser darauf vorbereitet zu sein.

WochenENDspiegel:
Betreffen die psychischen Probleme eine bestimmte Altersgruppe?

EVGENIY ROMANOV:
Das kann ich nicht sagen, denn letztendlich sind alle durch die Corona-Situation den gleichen Faktoren ausgesetzt. Aber ältere Menschen, die vorher schon weniger soziale Kontakte gehabt haben und nun sehr isoliert sind, reagieren anders auf diese Situation. Sie können schlechter damit umgehen, als beispielsweise Menschen, die weiterhin ihren Beruf ausüben können, da mit dem Alter die Umstellungsfähigkeit des Menschen abnimmt.