Start Chemnitz Abgehängt (mal wieder)
Artikel von: Judith Hauße
25.07.2023

Abgehängt (mal wieder)

Bereits im vergangenen Jahr verkündeten Stoffbanner auf dem künftigen Gelände des Wasserstoff-Zentrums die Botschaft: Chemnitz is #Ready4Wasserstoff. Vielleicht hätte man sie bis zum Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz liegen lassen, denn dieser kam bekanntlich mit dem Hubschrauber nach Chemnitz. Foto: HZwo e.V.|Thomas Höppner (VideoVision)

Wasserstoff-Kernnetz: Bleibt Chemnitz ein weißer Fleck auf der Landkarte?

Chemnitz. Die Weichen für ein Wasserstoff-Netzwerk in Deutschland sollen bis 2024 gestellt werden. Ein Ziel, das Bundeskanzler Olaf Scholz zur Ministerpräsidentenkonferenz Ost in Chemnitz offiziell bestätigte. Knapp einen Monat nach seinem Besuch in der Stadt herrscht nun aber große Ernüchterung. Schuld ist der aktuelle Planungsstand für ein künftiges Kernnetz der Wasserstoffversorgung bis 2032, das durch weite Teile Deutschlands, darunter auch Sachsen, verlaufen soll. Chemnitz fehlt jedoch in den bisherigen Planungen vollständig. „Ein absurdes Schauspiel“, wie der Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) offen ausspricht.

„Chemnitz wird eines von vier Wasserstoffzentren sein und soll also künftig über eine Insellösung versorgt werden!?“. So sehen zumindest die derzeitigen Pläne der Betreiber von Gasleitungen in Deutschland aus (siehe Karte). Hier sollen nämlich zunächst 12.000 Kilometer Leitungen für Wasserstoff verlegt werden. Zwischen Zwickau und dem Kreis Mittelsachsen macht sich aber auf der Landkarte ein großer weißer Fleck bemerkbar. Und mal wieder liege dieser bei Chemnitz, wie der OB feststellen muss und sich an ein in der Vergangenheit ähnliches Szenario erinnert. Denn schon damals wurde Chemnitz beim Fernbahnverkehr aufs Abstellgleis gesetzt. Beim Thema Wasserstoff könnte die Stadt nun ein Déjà-vu erleben. Davor warnten letzte Woche auch regionale Wasserstoff-Akteure bei einer Pressekonferenz der Industrie- und Handelskammer Chemnitz (IHK).

Max Jankowsky – der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer Chemnitz (IHK) leitet hauptberuflich die Gießerei Lößnitz. Auch hier wolle er künftig auf Wasserstoff statt auf Erdgas setzen. Foto: IHK Chemnitz

Jankowsky: “Wir brauchen JETZT alle Bedarfe!”

Auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) fordere entsprechende „Nachbesserungen“ ein. Gleichzeitig spricht er sich für den Anschluss des Industriebogens Meißen, der (Chip-) Industrie in Dresden und Freiberg sowie der Kraftwerkstandorte in der Lausitz und großer kommunaler Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung aus. Viel Zeit bleibt der Region Chemnitz und Südwestsachsen aber nicht, ihre Bedarfe an das Wirtschaftsministerium zu schicken. Bis Ende Juli läuft die Frist. Und anders als der sächsische Wirtschaftsminister findet der neue Chemnitzer IHK-Präsident Max Jankowsky zur Pressekonferenz am Freitag (21. Juli) dringlichere Worte. „Wir brauchen JETZT eine Liste aller.“ Sein Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der IHK in Dresden vor zwei Wochen bezeichnete Jankowsky als „Treffen zwischen Begeisterung und Wirklichkeit“, beschreibt den, wie er sagt „Realitätscheck“. „Uns fehlen momentan klare Konzepte und Strategien, die auch die sozialen bzw. gesellschaftlichen Auswirkungen der Energiewende berücksichtigen, um sicherzustellen, dass sich niemand abgehängt oder vergessen fühlt.“

Noch handelt es sich bei dem aktuellen Planungspapier zur Verteilung des Wasserstoffs in Deutschland um keinen finalen Entwurf. Doch die Tatsache, dass die Region Chemnitz vom künftigen Wasserstoff-Netzwerk ausgeschlossen sein könnte, sei der falsche Weg, wie auch Roland Warner, Geschäftsführer des Chemnitzer Energieversorgers eins energie an den Plänen seines Regionalversorgers deutlich machte. „Mit dem Absetzen des fossilen Erdgases in naher Zukunft, prognostizieren wir einen erheblichen Bedarf an grünem Wasserstoff für die Strom- und Fernwärmeerzeugung.“ Gemeinsam mit der Tochtergesellschaft inetz GmbH betreut das Energieunternehmen aktuell rund 200 industrielle Großkunden mit einem Energiebedarf von über 100 GWh pro Jahr. „Etwa 80 bis 90 Prozent des Gasverbrauchs entfallen auf die Erzeugung von Prozesswärme während der Produktion.“ Windkraft und Photovoltaik allein würden da nicht ausreichen.

Roland Warner, Vorsitzender Geschäftsführer eins energie: „Die Pläne wurden mit heißer Nadel gestrickt.“ Foto: eins ernergie

Schon jetzt hätten die regionalen Industriekunden einen Bedarf von zwei Terrawattstunden, erklärt Warner. Sein Unternehmen könne zwar die Region mit Wasserstoff über das eigene Verteilnetz von etwa 7.300  Kilometer Länge noch recht gut versorgen. Trotz allem brauche es dazu zuallererst einen Anschluss ans Kernnetz, wie der eins-Chef weiß.

Wasserstoff wird Gas künftig ersetzen

Abgehängt sein vom großen Transformationsprozess hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaft, für die auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor einigen Wochen in Chemnitz Worte der Zuversicht hinterließ – für die Region Südwestsachsen aber ein herber Schlag. Karl Lötsch, Geschäftsführer des HZwo-Netzwerkes hob zum IHK-Termin noch einmal vor, der Bedarf an Wasserstoff aus erneuerbaren Energien werde steil ansteigen. „Wasserstoff wird in den kommenden Jahren fossiles Gas sowie Kraftstoffe in Industrie, Verkehr und Wärme ersetzen.“ Ein Unternehmen, das mit der vollständigen Substitution des Erdgases die Zukunft seines Unternehmens in Gefahr sehe, ist die Auerhammer Metallwerk GmbH. Schon jetzt kommen bei dem international erfolgreichen Produzenten von Metallhalbzeugen rund 300.000 Kubikmeter Wasserstoff als Prozessgas zum Einsatz. Mehr als 15 LKWs täglich bräuchte es, wenn das Unternehmen den Wasserstoff wie aktuell schon, über die See oder seenahen Elektrolysestationen statt über das geplante Kernnetz geliefert bekäme.

„Damit tun wir der Umwelt erst recht keinen Gefallen“, so Geschäftsführer Dr. Robert Krumbach sichtlich besorgt um die Zukunft seines Betriebes. „Von einer Insolvenz wollen wir nicht sprechen, aber vielleicht müssten wir ein neues Geschäftsfeld beziehen.“ Damit es nicht so weit kommt, waren in dieser Woche noch einmal alle Unternehmen, Regionen und Verbände dazu aufgerufen, ihre Wasserstoff-Bedarfe bis 28. Juli bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) anzumelden. Die endgültige Entscheidung zum Netz fällt dann Anfang 2024. Und Chemnitz bleibe nicht die einzige Region, die beim künftigen Wasserstoffkernnetz außen vor bleibe, wie HZwo-Chef Lötsch meint. „Alle großen Industriestandorte in Deutschland wollen angeschlossen werden.“ Das Buhlen um den Wasserstoff-Anschluss hat also begonnen.