Start Chemnitz Beinahe unbemerkt
Artikel von: Judith Hauße
30.04.2020

Beinahe unbemerkt

Symbolbild: pixabay.de

Der neue Bußgeldkatalog wurde weitreichend mit härteren Strafen versehen. Doch tragen die Änderungen zu einer besseren Verkehrssicherheit bei? „Nein“, wie der Chemnitzer Rechtsanwalt Kai-Uwe Stemmert meint. „Nur eine höhrere Kontrolldichte.“ Vielmehr sorge der Bußgeldkatalog dafür, dass viele Autofahrer zwangsweise zu Fußgängern werden, so Stemmert. „Weil die Problematik des Übersehens eines Tempo-30-Schildes innerorts und dann 51km/h fahren, zum Fahrverbot führt“, so der Fachanwalt für Strafrecht. Sinnvoller erschien ihn die vorher geltende 31-iger Regelung, wodurch ein Fahrverbot vermieden werden konnte. „Da nur acht Punkte möglich sind, ist auch insgesamt der Führerscheinverlust schneller gegeben.“

Zudem ist er der Ansicht: „Es sollte unterschieden werden zwischen dem Gelegenheitsfahrer und dem Berufskraftfahrer, der im Jahr 100.000 Kilometer fährt und die Möglichkeit schneller gegeben ist, ein Verkehrsschild zu übersehen, als derjenige, der im Jahr nur 5.000 Kilometer fährt.“ Auch in einer höhreren Kontrolldichte sehe er eine effektivere Überwachung. „Dass heißt im Umkehrschluss, dass die Messstellen aber sorgfältig ausgewählt sein sollten und nicht an einer Ausfallstraße stattfinden, die kein Unfallschwerpunkt ist, sondern nur als Einnahme dient.“

Wie Stemmert, stimme auch Franz Thomas Pfeifer, Fachanwalt für Verkehrsrecht einer erhöhten Verkehrsdichte zu, insoweit es, wie Pfeifer sagt, darum gehe, Gefahren für Leib und Leben zu minimieren. Er wünsche sich stärkere Geschwindigkeitskontrollen vor Kindertagesstätten, Schulen und Unfallschwerpunkten. Auch auf Sachsens Autobahnen sehe er Nachholbedarf. „Völlig vernachlässigt wurden in den letzten Jahren Videoüberwachungen und insbesondere die Kontrollen auf Alkohol und Drogen.“ Weiter sagt er: „Dass sich die Fallzahlen der Straßenverkehrsdelikte bei den Staatsanwaltschaften in den letzten 20 Jahren halbiert haben, die Alkoholdelikte mehr als gefünftelt, liegt weniger an der besseren Verkehrsmoral, als vielmehr daran, dass fast keine Kontrollen mehr stattfinden.“

Die drastischen Erhöhungen des Bußgeldes sehe Pfeifer zum Teil für mehr als berechtigt. „Obwohl wir in Deutschland mit die höchsten Löhne innerhalb der EU haben, liegen wir bei der Höhe der Bußgelder am Ende.“ Teilweise seien die Verwaltungskosten um ein mehrfaches höher als das bislang verhängte Bußgeld, wie er erläutert. Kritik übt Pfeifer jedoch gegenüber Verkehrsminister Andreas Scheuer, der sich seiner Meinung nach mit der Novelle als „Fahrradverkehrsminister“ profiliere. „Verkehrsrowdys auf dem Fahrrad nur beim Rotlichtverstoß einen Punkt bekommen. Während der Fahrer eines Elektromotorrollers, bei einem Alkoholdelikt die gleichen Sanktionen wie ein Autofahrer zu befürchten hat, wird es für den E-Fahrradfahrer erst ab 1,6 Promille ernst (MPU!).“ (Komplettes Interview unter www.wochenendspiegel.de).

Für die Forschungsgruppe Allgemeine und Arbeitspsychologie mit Forschungsschwerpunkt Verkehrspsychologie der TU Chemnitz ist die StVO-Novelle hinsichtlich der Umsetzung zum Schutze schwächerer Verkehrsteilnehmer ein Teilerfolg. Mit ihrem Projekt „DRadEsel“ führte die Gruppe bereits mehrmals Befragungen zur Verkehrssicherheit von Radfahrenden an urbanen Knotenpunkten in Chemnitz durch. Besonders der zu geringe Abstand beim Überholen wurde dabei u.a. als ein häufig berichtetes sicherheitskritisches Ereignis genannt. Die Festlegung des Mindestabstands von innerorts 1,5 Meter und mindestens zwei Meter außerorts sei demnach ein guter Schritt vorwärts, sagt Maria Kreußlein (MSc. Psych.), Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe. Sie weiß aber auch: „Es stellt sich jedoch die Frage der Überprüfbarkeit der Einhaltung.“ Zudem würden zugeparkte Radverkehrsanlagen ebenfalls häufig berichtet. „Ein generelles Halteverbot auf Radschutzstreifen ist sinnvoll und eine nötige Strategie.“

Auch die Erhöhung des Bußgeldes für das Radfahren auf Gehweges sei der Forschungsgruppe zufolge nachvollziehbar. Es gebe allerdings einen Haken, wie Maria Kreußlein sagt.  „Es ist zu bedenken, dass Radfahrende die Infrastruktur wechseln und Gehwege nutzen könnten, weil die vorhandene Infrastruktur für die Radfahrenden eine Gefahrenquelle darstellt. Die Einrichtung einer qualitativ hochwertige Radinfrastruktur an solchen Stellen sollte diskutiert werden.“