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Artikel von: Redaktion
01.02.2016

Bürgerversammlung zum Thema Asyl in Chemnitz: Bürger wollen Antworten

Volles Haus: Die Stadthalle in Chemnitz zur Bürgerversammlung. Fotos: Stephanie Ihle
Volles Haus: Die Stadthalle in Chemnitz zur Bürgerversammlung. Fotos: Stephanie Ihle

Chemnitz. Eine lange Schlange bildete sich bereits vor 16 Uhr am Eingang der Stadthalle Chemnitz. Der Grund: Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig hatte zur zweiten Einwohnerversammlung zum Thema Asyl geladen. Zunächst nur der kleine Saal der Kultureinrichtung vorgesehen, hatte die Stadtverwaltung bereits vergangene Woche umdisponiert und den großen Saal der Stadthalle als Ort der Bürgerversammlung gewählt.

 Lange Schlange vor der Stadthalle. Wer rein wollte, musste sich geduldig zeigen.

Lange Schlange vor der Stadthalle. Wer rein wollte, musste sich geduldig zeigen.

Gedulden musste man sich beim Einlass, deshalb bildeten sich bereits vor 16 Uhr lange Schlangen vor der Stadthalle. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen hieß es für alle erst einmal Taschen- und Personenkontrolle.

Der Parkettbereich des großen Saales war bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit etwas Verspätung begann kurz nach 17 Uhr die Einwohnerversammlung. Es folgten drei Stunden teils hitzige Argumentationen seitens des Plenums und Podiums. Spürbar war der große Frust vor allem aber auch die Angst der Bürgerschaft, die mit lautstarken Rufen sowie Pfiffen, aber auch Fragen ihrer Meinung Kund taten.

Es zeigte einmal mehr, wie diese Thematik die Gemüter doch bewegt – egal welchen Alters und Geschlecht.

Vertreter der unterschiedlichen Parteien stellten sich auf dem Podium den Fragen der Bevölkerung.
Vertreter der unterschiedlichen Parteien stellten sich auf dem Podium den Fragen der Bevölkerung.

Das Podium war dabei besetzt von Vertetern der verschiedenen Parteien, die in Land- und Bundestag vertreten sind sowie Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig. Für die Partei Die Linke waren Michael Leutert und Susanne Schaper anwesend, die SPD war vertreten durch Detlef Müller und Jörg Vieweg, als CDU-Vertreter auf dem Podium Platz genommen hatten Frank Heinrich und Ines Saborowski-Richter, die AfD wurde vertreten durch Dr. Roland Katzer und Thomas Lehmann saß als Mitglied des Bündnis 90/Die Grünen auf der Bühne.

Per Gerichturteil hatte Martin Kohlmann (Pro Chemnitz) eine Teilnahme am Podium erwirkt, auch wenn die Stadtratsfraktion weder im Land- noch Bundestag vertreten ist.

Von Anfang an war die angespannte Stimmung im Saal spürbar. Bereits die erste Frage nach einer Obergrenze der Flüchtlingzahlen, zeigte, die ganze Tragweite der Debatte. Frank Heinrich unterstrich dabei: “Es darf keine Obergrenze geben.”

Bürger hatten die Möglichkeit im Vorfeld der Veranstaltung an das Bürgermeisterbüro Fragen zu stellen, die in einer ersten Runde zur Diskussion standen.

Anschließend folgten mehrere offene Fragerunden, in denen die Bürger im Saal die Möglichkeit hatte weitere Anliegen loszuwerden.

Trotz dreistündiger Einwohnerversammlung konnten sowohl die im Vorfeld eingereichten Fragen sowie die Wortmeldung seitens des Plenums nicht alle beantwortet werden.

Am Ende verließen viele enttäuscht die Stadthalle, hatten sich mehr erhofft von der Diskussion – vor allem aber erhofft hatten sie Zugeständnisse.

Update 2. Februar:

Nicht verwunderlich die Quote, die die Oberbürgermeisterin an diesen Abend vorstellte:

“In Chemnitz haben wiraufgrund der Erstaufnahmeeinrichtung die höchste Zahl an Asylbewerber pro Einwohner.”

Schätzungsweise 10 Millionen Euro hatte die Stadt 2015 für die Unterbringung und Betreuung von Asylbewerber im Haushalt ausgegeben.

Dabei betonten die Referenten vom Podium jedoch, dass die Finanzierung keineswegs auf Kosten anderer Themen in der Stadt geht. So erklärte Susann Schaper von den Linken beispielsweise:

“Weder in Sachen Personal noch beim Geld, was die deutsche Bevölkerung angeht, werden in der Stadt Abstriche gemacht.”

Oberbürgermeisterin Ludwig unterstrich nochmal, dass man sich das Geld auf jeden Fall von Land und Bund wiederholen wolle.

Einig waren sich die Politiker des Podiums über das gewachsene Interesse an Politik.

“Vor Jahren haben wir uns gewünscht, dass sich die Bürger organisieren und zur Wahl gehen. Heute haben wir dies Situation erreicht,” so die Oberbürgermeisterin.

Auch Michael Leutert (Die Linke) unterstrich: “Ich freue mich über das Politikinteresse, welches die Thematik in der Stadt hervorgebracht hat.”

Gerade nach den am Wochenende getroffenen Äußerungen der AfD wurde diese stark kristisiert.

“Die Grenzen zu schließen und einen Schießbefehl zu geben  sollte keine Thematik in Deutschland sein. Zu oft in der deutschen Geschichte wurde auf Frauen und Kinder geschossen”, so Leutert.

Gerade das Thema Sicherheit der Bevölkerung war präsent an diesem Abend. Spürbar war die Angst der Anwohner, die sie um ihre Kinder hatten. Dr. Ronald Katzer (AfD) erklärte auf die Frage hin “Wie die Bildung von kriminiellen Banden verhindert wird?”:

“Die Frage richtet sich gegen die Polizei ob sie dieses Pensum überhaupt personell leisten kann.”

Jörg Vieweg (SPD) unterstrich:

“Seit Dezember 2014 haben wir keine Sitzung mehr im Landtag, in der nicht das Asylthema auf der Agenda steht. Ab sofort werden 550 Wachpolizisten ausgebildet.

Auch für die folgenden Jahre ist die Aufstockung in diesem Bereich geplant. Sie dienen der Sicherheit von Innen und Außen, dass heißt sie sollen sowohl Flüchtlingsheime als auch Grenzen absichern.”

Mandy Kürschner, Polizeirätin von Chemnitz:

“Die Angst können wir der Bevölkerung nicht nehmen. Wir als Polizei haben auch nie gesagt, dass keine Gefahr besteht. Wir haben defacto eine steigende Tendenz bei den Straftaten.”

“Ich würde mir für 2016 wünschen, dass es ein Jahr wird ohne Anbrüllen und stattdessen ein Jahr des Dialoges. Wir haben in den letzten Monaten Beschlüsse im Schweinsgalopp gefällt”, so Vieweg.

“Ich bin nicht mit der Politik der Bundesregierung einverstanden. Bin ich deshalb ein Nazi?” Diese Frage war im Vorfeld beim Bürgermeisteramt eingereicht wurden. Thomas Lehmann (Die Grünen):

“Ein klares Nein. Ich bin auch nicht immer mit der Politik einverstanden. Es gibt immer welche die sagen, es kommen zu viele. Man wird erst zum Nazi, wenn man Stacheldraht nach außen und schießen will.”

An Martin Kohlmann wurde die Frage weitergeleitet, ob es verpflichtende Maßnahmen seitens des Staates geben sollte zur Integration:

“Integration ist eine Bringepflicht der Asylbewerber und nicht des Staates. Ich muss mich den Gepflogenheiten anpassen, wenn ich hier bleiben möchte. Meiner Meinung nach sollten die Asylbewerber ein Jahr nach der Aufnahme in Deutschland sich eine Arbeit suchen. Es muss hier schneller und unbürokratisch laufen.”

Während der offenen Fragerunde wurde Oberbürgermeisterin Ludwig direkt angesprochen zum Thema Rücktritt, Stop der Aufnahme und der Situation in Einsiedel.

“Ich bin unterschiedliche Meinungen gewohnt als Oberbürgermeisterin. Manchmal gibt es unangenehme Situationen, aber ich stelle mich meiner Verantwortung, die ich im Amt durch die Wahl bekommen haben.”

Im weiteren Verlauf fügte sie hinzu: “Wenn ich die Verantwortung nicht annehmen würde könnte ich auch Näherin werde.”

” Wir haben eine Pflicht als Kommune bzw. Stadt Asylbewerber aufzunehmen. Würde ich Ihnen jetzt ein Stop versprechen, dann würde ich Sie anlügen. Die Betreuung gehört zu unseren Aufgaben.

Wir haben uns absichtlich für die dezentrale Unterbringung der Aslybewerber im gesamten Stadtgebiet entschieden.”

“Gegen den Vorwurf, dass ich nicht nach Einsiedel komme sage ich nur: Ich war auf Bürgerversammlungen in Einsiedel und habe auch Bürger zu mir eingeladen. Aber an den Infostand, den es dort gibt, komme ich nicht. Das ist mein Recht.”

Im Verlauf der Diskussionsrunde wurde die Stimmung im Saal immer hitziger. Bereist 19 Uhr verließen viele Bürger die Versammlung.

“Wir stellen uns hier den Fragen und ich kann die Reaktion hier teilweise nicht verstehen mit Buh-Rufen und Stinkefingern”, so Schaper und fügt hinzu:

“Wir bekommen teilweise Emails, in denen man uns Vergewaltigung wünscht. Ich habe eher Angst vor diesen Menschen als vor Asylbewerbern.”

Vergangenes Jahr zur Bürgerversammlung waren noch mehrheitlich Stimmen von Befürwortern und Unterstützern der Asylbewerber zu hören. Diese waren dieses Jahr eher leise. “Ich habe mich heute Abend über die Diskussion und die Buh-Rufe geschämt”, hieß es von einem Bürger.

Nur wenige äußerten sich positiv. Dies lag aber vielleicht auch an den Reaktionen im Saal. Auf positive Einwände wurde prompt mit Buh-Rufen und hämischen Gelächter sowie Anfeindungen geantwortet. Eine Basis, die die offene Diskussion kaum ermöglichte.