Start Chemnitz Martin aus Neukirchen rettet Familienvater das Leben
Artikel von: Judith Hauße
08.10.2021

Martin aus Neukirchen rettet Familienvater das Leben

Günter (rechts) mit seinem Lebensretter Martin. Foto: Privat

Es ist ein Schicksal von vielen, aber jedes verdient, erzählt zu werden: Der damals 46-jährige Günter aus dem Oberpfälzer Landkreis Cham erkrankte 2017 an Blutkrebs. Das Leben am seidenen Faden, nur durch einen passenden Stammzellenspender zu retten. Die Suche nach einer geeigneten Spende begann und war erfolgreich. Gefunden in Neukirchen. Jetzt, zwei Jahre später traf Günter auf ihn: Martin. Der 37-jährige Mann aus Neukirchen im Erzgebirge schenkte ihm ein zweites Leben.

Günter ist verheiratet, hat drei Söhne und arbeitet als Produktionsleiter. Er steht fest und glücklich im Leben, als er plötzlich Schmerzen im Rücken und Becken spürt. Die Standardbehandlungen vom Hausarzt mit Tabletten, Spritzen und Infusionen bleiben ohne Erfolg. Auch ein anberaumtes MRT im Oktober bringt keine Klarheit. „Laut Befund alles soweit OK“. Später stellt sich heraus, dass der Befund fehlerhaft war! Erst Monate später, als die Schmerzen nicht mehr aushaltbar sind, sucht er auf Eigeninitiative Hilfe in einem größeren Klinikum.

Nach zwei Tagen bekommt er eine niederschmetternde Diagnose: Er leidet an einem Multiplen Myelom, einer schweren Erkrankung des blutbildenden Systems. Bereits 80% des Rückenmarks sind befallen. Es muss schnell gehandelt werden, weil die Wirbelsäule zu brechen droht. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt! Behandlungszyklen mit Bestrahlungen und Chemotherapie folgten. Eine Hochdosis-Chemotherapie mit Eigenstammzellentransplantation im Frühjahr 2018 können die bösartigen Zellen nur kurze Zeit in Schach halten.

Ein halbes Jahr verging, als ihm die Ärzte mitteilten, dass nur eine Stammzelltransplantation mit einem Fremdspender sein Leben nachhaltig retten könne. Zu diesem Zeitpunkt sind seine Werte stabiler. Günter lehnt zunächst ab. Er fühlt sich weder physisch noch psychisch dazu in der Lage. Er ist am Ende seiner Kräfte. Als die Lage jedoch zu kippen droht, wird er kurzerhand am 20. März transplantiert – mit Stammzellen eines unbekannten Spenders.

Die Nebenwirkungen sind verheerend: Schmerzen, permanente Übelkeit, Auflösen der Mundschleimhäute. Günter kann kaum noch essen, nimmt ab, hat keinerlei Kraft mehr. Nur sehr langsam geht es ihm besser. Im Dezember spendet der gleiche unbekannte Spender erneut: Dieses Mal aber keine Stammzellen, sondern Lymphozyten, um Günters Immunsystem anzuregen. Offenbar mit Erfolg. Im Mai 2020 kann, mit Unterstützung durch seinen Arbeitgeber, die berufliche Wiedereingliederung starten.

Es vergehen zwei Jahre bis er die bis dato vorgeschriebenen Sperrfrist beendet ist und Günter von der Transplantationsklinik die lang ersehnten Kontaktdaten seines Lebensretters erhält. Die Antwort kommt sofort: Hinter dem Unbekannten verbirgt sich Martin, 37 Jahre, ein empathischer und herzlicher junger Mann aus dem Erzgebirge.

Martin bei der Spende. Eines seiner Knautschherzen schenkte er Günter.

Martin, der bei der Chemnitzer Autobahnmeisterei als Kolonnenführer arbeitet, hat sich 2016 bei der DKMS registrieren lassen. 2018 erhält er die Nachricht, dass er als passender Spender für einen Blutkrebspatienten in Frage käme. „Ich habe mich riesig gefreut. Die DKMS wollte mir noch Bedenkzeit geben, aber ich habe ohne zu zögern zugesagt. Ich war einfach nur glücklich. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, einem Menschen das Leben zu retten?“, erinnert sich Martin. Im März fährt er zur Stammzellentnahme nach Dresden. „Es war alles perfekt organisiert, vollkommen unkompliziert und hat nur knapp drei Stunden gedauert.“

Dann verknüpfen sich plötzlich die Leben beider: „Ein halbes Jahr haben wir uns nur geschrieben haben. Ganz bewusst haben wir nicht miteinander telefoniert. Wir wollten uns unsere Stimmen, die ersten gesprochenen Worte, für den großen Moment, unsere erste Begegnung aufheben“, erklärt Günter, der Martin kurze Zeit später in seine Heimat einlud. Martin macht sich daraufhin  auf den Weg nach Bayern.

Von Anfang an gibt es eine starke Bindung. „Martin ist ein toller Typ, ein unglaublich empathischer Mensch mit einem ganz großen Herzen. Und er ist mein genetischer Zwilling, mein Blutsbruder und genauso fühlt es sich auch an“, verrät Günter. Er zeigt Martin seine Heimat, sie machen viele gemeinsame Ausflüge. Und sie reden ganz viel, auch über die Vergangenheit. Erst jetzt begreift Martin, welchen Leidensweg Günter hinter sich hat: „Ich war schockiert, als ich die Fotos aus seiner schwersten Krankheitsphase sah. Und war glücklich, wie positiv verändert Günter jetzt neben mir saß.“

Nach einer langen Zeit der Genesung, die Günter ohne Martin, aber auch ohne seine Familie nicht durchgestanden hätte, blickt er jetzt wieder nach vorne und sagt: „Das Gestern ist Geschichte, das Heute ist ein Geschenk, das Morgen ist ein Rätsel“. Weitere Treffen sind geplant. Bald wird Günter mit seiner Familie Martin besuchen.

Zum Abschied hat Martin Günter symbolisch eines der beiden Knautschherzen geschenkt, mit denen er während der Transplantation pumpen musste, um den Blutfluss für Günters Spende anzuregen. Jetzt befindet sich ein Herz im Bayerischen Wald, eines im Erzgebirge und erinnert beide stets an ihre Zusammengehörigkeit.

Wer Martins Beispiel folgen will und zwischen 17 und 55 Jahre alt ist, kann sich mit wenigen Klicks über www.dkms.de die Registrierungsunterlagen nach Hause bestellen. Besonders wichtig ist es, dass die Wattestäbchen nach dem erfolgten Wangenschleimhautabstrich zeitnah zurückgesendet werden. Erst wenn die Gewebemerkmale im Labor bestimmt wurden, stehen Spender:innen für den weltweiten Suchlauf zur Verfügung.