Start Chemnitz Zeitzeuge Mrázek : „Ich bereue nichts“
Artikel von: Judith Hauße
27.10.2023

Zeitzeuge Mrázek : „Ich bereue nichts“

Falk Mrázek erinnert sich an den Tag, an dem er seine Familie endlich wieder in die Arme schließen durfte. Festgehalten auf einem Bild, das derzeit in einer Zelle am Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis hängt. Foto: jh

Kaßberg-Knast ist neuer Lern- und Gedenkort – Falk Mrázek erzählt

Falk Mrázek schaut auf das Bild, das seine Mutter und ihn zeigt. Beide fallen sich in die Arme. Es ist der 22. Juni 1979 – zwei Tage nach seinem Freikauf aus dem Hafttrakt in Chemnitz. WochenENDspiegel traf den heute 63-Jährigen heute vor einer Woche zur offiziellen Eröffnung des Lern- und Gedenkorts Kaßberg-Gefängnis (20. Oktober).

Falk Mrázek erzählt im WochenENDspiegel-Gespräch über seine Zeit im ehemaligen Stasi-Gefängnis auf dem Chemnitzer Kaßberg. Aktuell tourt er mit seinem Buch „Erwachsenwerden hinter Gitter – Als Teenager im DDR-Knast“ durch Deutschland.

„Sie haben uns behandelt wie wilde Tiere“, erzählt Falk Mrázek im Gespräch mit WochenENDspiegel. Knapp 44 Jahre nach seiner Zeit im ehemaligen DDR-Gefängnisbau auf dem Chemnitzer Kaßberg stehen wir in seiner damaligen Zelle im Hafttrakt B der Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Anstalt. In ihr hängen heute viele Bilder und Dokumente, die an die Zeit erinnern. So etwa ein Zeitungsausschnitt des Neuen Deutschland vom 2./3. August 1975. Auf dem Titel: die Schlussakte der Konferenz von Helsinki – ein Ereignis, das die Familie Mrázek eigentlich dazu befähigen sollte, Falks todkranke Großmutter im Westen besuchen zu dürfen. Es wird ihnen aber verwehrt. Daraufhin beantragt die Familie die Ausreise – ohne Erfolg, dafür aber mit Folgen, auch für den damals 17-jährigen Falk. „Der Schuldirektor fragte mich, ob ich denn auch wie meine Eltern in den Westen wolle. Als ich mit Ja antwortete, stieß das auf wenig Sympathie.“ Trotz Bestnoten wurde ihm daraufhin die Zulassung zum Abitur abgelehnt. „Ich wollte aber studieren, frei sein und die Welt erkunden“, erinnert er sich. „Das Regime in der DDR verwährte mir all meine Ziele im Leben, womit ich mich nie abgefunden habe.“
Sein Entschluss stand fest: Zu seinem 18. Geburtstag fuhr er zum Brandenburger Tor in Ost-Berlin. Dort angekommen versuchte er die Grenze zu überwinden. „Die Konsequenzen waren mir bewusst und ich habe sie in Kauf genommen.“

Mut zur Freiheit

Manche würden es als jugendlichen Leichtsinn bezeichnen. Für Falk Mrázek war es sein Leben, das er mit dem Verbleib in der DDR hätte nicht so führen können, wie er es wollte. Sein Fluchtversuch war für ihn eine Befreiung. „Ich bereue es bis heute nicht.“
Nur kurze Zeit später wird er wegen „versuchter Republik“ und „gewaltsamer Grenzverletzung“ für ein Jahr und zwei Monate zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Während des Kältewinters 1978/79 leistete er Schwerstarbeit im Strafvollzug Bitterfeld. Fünf Monate vor seiner Freilassung wurde er ins Kaßberg-Gefängnis nach Karl-Marx-Stadt gebracht. „Bis zum letzten Tag wusste ich nicht, wo und warum ich dort war“, sagt er Schulter zuckend.
„Überall diese Tigerkäfige.“ Statt frischer Luft auf dem Gefängnishof, gab es für ihn bloß wenige Quadratmeter große Drahtgitter-Verschläge – ein Bild, das sich wohl am meisten in seine Erinnerungen an die damalige Zeit eingebrannt hat, wie er verrät. „Es war beklemmend. Wir haben uns wie Tiere gefühlt.“ Jene Methoden der DDR seien für ihn allerdings auch ein Zeichen von Schwäche im SED-Staat gewesen. „Darin erkennt man, zu was Menschen fähig sind, wenn sie sich nicht anders zu wehren wissen, sobald sie kritisiert werden.“ Mit knapp 18 Jahren war der gebürtige Radeberger Mrázek vermutlich einer der jüngsten Inhaftierten im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Chemnitz. Er gehörte außerdem zu den mehr als 30.000 Insassen, die für mehr als 3,4 Milliarden D-Mark freigekauft wurden. Er zeigt auf das Bild des Wiedersehens mit seiner Familie in Köln. „Da hält mich meine Mutter bei der Ankunft im Arm.

Gedenkort: Im Fokus stehen die Menschen

Im Gegensatz zu anderen freigelassenen Häftlingen hatte Mrázek das Glück, hier eine Wohnung durch seine Eltern organisiert bekommen zu haben. „Sie durften mit meinem Bruder bereits im Mai in den Westen ausreisen. Meine Aktion am Brandenburger Tor hatte auch die Bearbeitung ihres Antrags beschleunigt.“ Dem jungen Falk Mrázek standen nun alle Möglichkeiten offen, sein Leben so zu führen, wie er es sich ausgemalt hat. Er holte sein Abitur nach, studierte in Dortmund Journalistik, reiste und arbeitete zwischenzeitlich unter anderem in den USA.

Auf den Kaßberg kehrte er 38 Jahre nach seiner Freilassung zur Museumsnacht 2017 zurück. Sechs Jahre später wurde hier am Freitag der neue Lern- und Gedenkort eingeweiht
Im Fokus der Aufarbeitung des deutsch-deutschen Erinnerungsortes stehen die starken Menschen, die „Nein“ gesagt haben gegen eine Dikatur“, wie der kuratische Leiter Peter Wellach betont. Gemeint sind Menschen, wie Falk Mrázek. Seine Geschichte erzählt vom „Erwachsenwerden hinter Gittern“, so wie auch der gleichnamige Titel seines Buch über die Zeit im Gefängnis lautet. Er war kein üblicher politischer Bürgerrechtler, er war ein Jugendlicher, der die Freiheit wollte und den mutigen Schritt gewagt hat. Mit Falk Mrázek steht vor mir ein Mensch, der mit sich im Reinen ist. Ich habe großen Respekt vor ihn und seinem mutigen Schritt, sein Leben in Freiheit mit allen Mitteln weiterführen zu wollen und dafür so viel auf sich genommen hat

Text: Judith Hauße